Man kann gar nicht so viel schlucken, wie es derzeit zu schlucken gibt. Das ist noch höflich ausgedrückt, aber zumindest gedruckt möchte man ja manche Vokabeln nicht sehen. Also bleiben wir beim Schlucken.

Schlucken müssen wir beispielsweise die Medizin der Erkenntnis. Die hat nichts mit Corona oder Affenpocken zu tun, sondern tatsächlich mit Menschlichkeit, Menschenrechten und der europäischen Augen-zu-und-durch-Politik der letzten Jahrzehnte. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine werden uns jetzt per sogenannter Leaks chinesische Ungeheuerlichkeiten aufgetischt, die wir – seien wir doch zumindest hier ehrlich – längst kannten. Auf dem Tisch liegen Konzentrationslager, Folter, Völkermord. Bislang konnte der sogenannte Westen sich davon wohltuend augenverschließend abwenden und lieber olympische Spiele und verschleißfreudige Bil­ligware goutieren. Geschluckt haben wir solcherlei Treiben ja auch, weil es so angenehm weit weg in unsere „Geiz ist geil“ Mentalität zu passen schien. Nun haben wir uns im wahrsten Sinne des Wortes an unserer Gier verschluckt und wissen nicht mehr weiter. Können, nein dürfen wir in Zukunft noch auf schnelle Erden und nicht mehr ganz so schnelle Lieferketten setzen, wenn wir doch chinesische Gräuel bewiesen auf dem Tellerchen vor uns haben? Die Tellerchen mit russischem Kaviar versagen wir uns nach Mariupol und Butscha ja ohnehin.

Schon erheben sich entrüstete Stimmen, die auf unser Leid mit hohen Energiekosten und nicht mehr angesagten Urlaubsoasen verweisen. Wir leiden doch so arg an gesperrten Containerhäfen und nicht-produzierten Computerchips. So arg, dass unser Lebensstil sich mir-nichts-dir-nichts verkrümmelt. Und dabei ist unser offenes Herz und unser etwas weniger offenes Portemonnaie doch offensichtlich. Stolz verweisen wir auf die große Hilfsbereitschaft und schicken Helme und versprechen Panzer. Und bei den doch wohltuend weit entfernten chinesischen Unappetitlichkeiten schimpfen wir ganz laut und versprechen etwas leiser, Frühlingsrollen und Jasminreis zu meiden. Genauso übrigens wie aus anderer Quelle schon russische Eier und Borschtsch. Das alles wollen wir doch nicht schlucken, da verrottet einem doch der Holzknüppel in der schlagenden Hand.

An was wir uns jedoch weiter und weiter verschlucken werden, ist unser hinlänglich bekannter Verdrängungsmechanismus. Auf den können wir uns verlassen. So wie die Politik auf ihren Aussitzmechanismus. Deshalb lasst uns Butscha, chinesische Konzentrationslager und auch malische Söldnerbanden vom Tisch fegen und lieber gepflegt die urdeutschen Tugenden genießen. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Es kommt auch wieder die Zeit, wo uns ein ordentlicher Schluck aus der Pulle diese Unappetitlichkeiten vergessen lässt. Zumindest kurz, bis die nächs­te menschliche Schande offenbar wird.