Gelegentlich sollte man in sich gehen. So rein mental, weniger körperlich. In sich gehen heißt, selbstreflektorisch und leider in vielen Fällen auch selbstkritisch mit negativem Einschlag auf sich schauen. Begrifflich ist allerdings „auf sich schauen“ manchmal genauso irritierend zu verstehen wie das „in sich gehen“. Mit „auf sich schauen“ ist nämlich nicht der morgendliche Blick in den Spiegel gemeint, sondern eben der Blick aufs Wesentliche, sozusagen den inneren Kern der eigenen Persönlichkeit.

Dieses „in sich gehen“ und „auf sich schauen“ wird gelegentlich auch übertrieben. Es ist aber sozusagen gerade in aller Munde. Womit noch so eine körperbetonende rhetorische Floskel ausgespuckt wäre. In aller Munde ist zum Beispiel gerade eine tatsächliche oder zumindest vehement vorgetragene Selbstgeißelung in Sachen vergangene bundesdeutsche Russland-Politik. Vom Bundespräsidenten bis hinunter zum Ortsbürgermeister einer Gemeinde, der eine Städtepartnerschaft mit einer russischen Gemeinde gerade nicht goutieren kann, wird diese Selbstgeißelung betrieben. Und wer sich nicht genug in der Öffentlichkeit mit der virtuellen und verbalen neunschwänzigen Katze schmückt, dem kann geholfen werden. Das erledigt die Öffentlichkeit.

#Zuerst mal von denen, die so gerne in der kürzeren und manchmal auch länger zurückliegenden Vergangenheit vehement von allen das Hinhalten der rechten Wange – nein, nicht Backe, das ist ein anderes Körperteil – gefordert haben. Eben noch hieß es „der Putin will nur spielen“ wenn er barbrüstig mit dem sibirischen Tiger rang und nun „wie konnte die deutsche Politik nur so blind sein?“. Gut, es gab ausreichend Gelegenheit ein wenig die Augen zu öffnen. Beispielsweise wenn wieder einmal ein putinisches Gift­opfer gefunden wurde oder ganze Städte wie Grosny oder Aleppo in Schutt und Asche versanken. Aber das war eine andere Zeit und eben, im Falle von Aleppo und Grosny, ausreichend weit entfernt vom deutschen Speiseölregal.

Statt sich also beim „in sich Gehen“ und dem „auf sich Schauen“ mit besagter neunschwänziger Katze vertraut zu machen oder sich und andere an den Pranger zu stellen, täte das lange als undeutsch geltende „Handeln“ not. Dann kann Deutschland auch einen evangelischen Ex-Kanzler verschmerzen, der das katholische „mea culpa“ als nicht sein Ding bezeichnet. Zumal ein „mea maxima culpa“ viel angebrachter wäre.