Mit einer Krise im Rücken gehen wir noch lange nicht nach Hause
Ein erster Blick in den Rückspiegel endete letzte Woche mit dem Begriff des Lernens. Und da setzt dieser Teil 2 auch wieder an. Denn beim Lernen, auch dem lebenslangen Lernen, steigen wir wieder ein. Lernen in und durch die Krisen: Lernen, das versuchte – und versucht noch immer – die aktuelle Regierung. Mit durchaus unterschiedlichem Engagement. Im Februar hieß es noch stolz, „wir haben der Ukraine 1.000 Helme geschenkt, aber Panzer kriegt ihr nicht“. Im Laufe des Jahres lernte Berlin dazu. Zum Jahresende verfestigte sich dann immer mehr der Eindruck, dass in Kürze auch der Leopard-Panzer der ukrainischen Armee zur Verfügung stehen könnte. Man muss den Leopard-Panzer ja nicht zwingend Panzer nennen. Auch andere Panzer wie der Gepard mutierten ja vom Panzer zur munitionierten Selbstfahr-Lafette mit Stahlplattenschutz.
Genaueres könnte die Verteidigungsministerin erläutern. Kanzler Scholz lässt in seiner ruhigen Art ja sowas von Spezialisten erklären. Ministerin Lambrecht allerdings hat gerade andere Lernfelder vor sich. Beispielsweise, wie kann Deutschland mit 100 Milliarden Sondervermögen aus einer durchweg zahnlosen Bundeswehr wieder eine ernstzunehmende Armee entwickeln? Denn seit dem Ukraine-Krieg 2022 hat nicht nur eine Bestandsaufnahme gezeigt, Deutschland ist wehrlos. Deutschland kann seine NATO-Aufgaben momentan nicht erfüllen. Die modernsten Panzer fallen reihenweise aus, Munition fehlt an allen Ecken und Enden, und auch die Socken für die Infanterie sind gegen Kälte nicht gefeit. Und da standen also 2022 ausreichend Milliarden zur Verfügung, nur diese auszugeben, klappte nicht so schnell.
Den Energiekosten eins auf den Deckel geben: Schnell klappte dagegen anderes. Auch wenn man es nicht zwingend so empfindet, aber ein Ölpreisdeckel sowie selbiger für Gas wurden zügig angegangen. Und dann sind da ja noch die vielen staatlichen Hilfen, die direkt die Bürger erreichen sollten. Es ist nicht ironische gemeint: Für deutsche bürokratische Verhältnisse geschah in Sachen Bürgerunterstützung vieles sehr schnell. Dass mitunter manche Verordnung oder gar manches Gesetz mit der heißen Nadel gestrickt wirkte, liegt in der Natur der Sache. In der Bundesrepublik Deutschland hatte man – Gott sei Dank – weder Erfahrung mit Krieg noch mit Inflation. Und wenn Fehler so schnell korrigiert werden, wie sie gemacht werden, darf man hoffen.
Krisen, die tunlichst 2023 gemeistert werden wollen: Noch eine Krise gesellte sich 2022 zu den anderen Krisen. Die Flüchtlingskrise. Und obwohl die Stimmen der ethisch wenig Ausgebildeten bislang nicht allzu laut wurden, Deutschland hat wieder ein Problem mit der Flüchtlingsfrage. Wohin mit den vielen Menschen, die Putins Krieg aus ihrer Heimat vertrieben hat? Und wohin mit allen anderen Flüchtlingen, die ihre Heimat verlassen müssen – auch ohne russischen Terror? 2022 ist Deutschland in dieser Frage wirklich vorbildhaft vorgegangen. Was 2023 nicht einfacher macht. Wie, wo, wann, wer, können wir in 365 Tagen einschätzen.
Eine letzte Krise hat uns 2022 noch beschäftigt. Sie zu meistern sollte in 2023 aber von allen Krisen die einfachste sein. Die Fachkräftemangel-Krise schlägt unserer Wirtschaft noch mehr auf den Magen als die Inflation. Geld kann man zur Not drucken – siehe Griechenland oder Argentinien – nur die Menschen, die gerechten Lohn für gute Arbeit erhalten, müssen erstmal her. Und da wird der Gedanke, der 2022 sogar in konservativen Hirnen die Zunge bewegte, immer beliebter. Deutschland einig Einwanderungsland könnte die Lösung sein. Verbunden mit einer deutlichen Leitkultur, als Schmankerl für die ewig Zaudernden…
2022, da war doch noch was: Diesen Jahresrückblick auf Krisen zu beschränken, soll nicht heißen, dass es rückblickend nicht viele andere Themen gab, die uns 2022 bewegt haben. Dass über den Klimawandel hier bislang nicht ein Wort verloren wurde, hat einen einfachen Grund. Zum ersten ist es ermüdend über Klebstoff, Tomatensugo und Ölbilder zu schreiben, und zum zweiten werden uns viel zu heiße Tage und ebenso viel zu nasse Wochen ohnehin 2023 begleiten. Aber zugegeben, 2022 hatte viel mehr zu bieten als dieser Rückspiegel aufzeigt.