Der Garten des Voß-Hauses Foto: Stadt Otterndorf
OTTERNDORF ∙ Am 20. Februar 2022 jährt sich der 271. Geburtstag des Altertumsforschers, Dichters und Rektors Johann Heinrich Voß. Das ehemalige Rektorhaus in Otterndorf, in dem Voß von 1778 bis 1782 mit seiner Familie lebte und in dem sich heute das Johann-Heinrich-Voß-Literaturmuseum befindet, erinnert an den großen Gelehrten.
Voß arbeitete damals schon an seinem ehrgeizigen Projekt, das Epos des Dichters Homer, die „Odyssee“, aus dem Altgriechischen zu übersetzen. Er entschied sich das altgriechische Versmaß Hexameter beizubehalten, arbeitete detailbesessen als Übersetzer, weil er den Geist der Antike, den Geist Homers übertragen wollte. Noch immer geben seine Übersetzungen den Ton vor, sie machten ihn berühmt als einen der großen Vermittler fremder Literaturen. Als Herausgeber des „Musenalmanach“ verfügte Voß über ein weitreichendes Netzwerk im gesamten deutschen Sprachraum, mit allen Dichtern, auch mit Komponisten, die Vertonungen geliefert haben für den Almanach.
Ernestine Voß hielt ihrem Mann den Rücken frei, im Haushalt und bei der Erziehung der Söhne, war ihm aber auch eine kluge Gesprächspartnerin, die lebhafte Briefe und Erinnerungen schrieb, so unter anderem über die Blatternimpfung 1781 in Otterndorf: „Bald sollten uns Prüfungen treffen, die ohne inneren Mut noch schwerer zu tragen gewesen wären. Die Blattern, die schon bei unsrer Ankunft in der Umgebung waren, fingen an, sich in der Stadt zu zeigen, und rafften manchen hinweg.“
Mit der ersten Schutzimpfung in Hadeln hatte Voß zu tun gehabt. Die Pocken, auch „Blattern“ genannt, war eine seit Jahrhunderten weithin bekannte und gefürchtete Virus-Erkrankung. Im 18. Jahrhundert waren die Pocken die vorherrschende Seuche, die Ansteckungsgefahr war mangels hygienischer Bedingungen hoch, insbesondere bei Kindern. Die Krankheit war jedoch nicht nur wegen der hohen Sterblichkeit gefürchtet, sondern besonders wegen ihrer quälenden Symptome und möglichen Folgeerkrankungen wie entstellende Narben am ganzen Körper und im Gesicht. Der Gedanke, den Ausbruch von Pocken zu verhindern und die „Blattern“ auszurotten, hatte schon seit langer Zeit die Ärzte beschäftigt. Der englische Landarzt Dr. Edward Jenner erkannte, dass die – auf den Menschen übertragbaren, aber für ihn ungefährlichen – Rinderpocken gegen die „richtigen“ Pocken immunisiert werden können und machte seine Untersuchungen im Jahr 1775 bekannt.
Um 1780 drohte im Land Hadeln eine Pockenepidemie. Voß wusste, dass in vielen Ländern bereits erfolgreich versucht wurde, durch recht ungefährliche Kuhpockenerreger gegen die bedrohlichen Pocken zu immunisieren. Bald nach seiner Ankunft, als der älteste Sohn Friedrich Leopold an den Pocken erkrankte und in Lebensgefahr schwebte, verlangte Voß von seinem Arzt, er solle seinen Sohn impfen, was damals in Hadeln noch für einen Eingriff in Gottes Vorsehung galt. Doch der Arzt zögerte und erst als Voß erklärte, die Impfung selbst vorzunehmen, hatte er Mut gefasst.
Voß setzte Pockenimpfung durch
Voß setzte erfolgreich durch, dass in den kommenden Jahren alle erkrankten Otterndorfer Kinder mit dem von Jenner entdeckten Gegenserum geimpft wurden. Von den 60 geimpften Kindern starb nur eines an der Seuche. Die Pockenimpfung, die Voß beharrlich durchgesetzt hat, war eine Pionierleistung in Deutschland! Die Nachricht verbreitete sich bald in Stadt und Land, das Ansehen von Voß soll danach gestiegen sein. Vierzig Jahre später, 1821, wurde die Impfpflicht im Hannöverschen eingeführt. Im Jahr 1980 konnte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Welt endlich für pockenfrei erklären. Voß’ Kampf für die Pockenimpfung hat somit nicht an Aktualität verloren.
Das Voß-Museum öffnet nach der Winterpause am 20. Februar 2022 mittwochs und sonntags 15 bis 18 Uhr wieder seine Türen. Führungen finden nach Vereinbarung statt. Eine Hör- und Multimediastation informieren über das Leben und Werk von Voß. Die traditionelle Geburtstagsfeier mit Ernestines Kirschkuchen kann wegen steigender Infektionszahlen in diesem Jahr leider nicht stattfinden.
Präsentation einer Voß-Büste
Für das kommende Frühjahr ist die Präsentation des Abgusses einer Voß-Büste des berühmten klassizistischen Bildhauers Johann Gottfried Schadow geplant, die jahrelang als verschollen galt und dank weitreichender Bemühungen ausfindig gemacht werden konnte. Der Abguss der Büste, die sich heute im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin befindet, wird derzeit in der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz hergestellt.
Die Jahreshauptversammlung der Johann-Heinrich-Voß-Gesellschaft findet am 28. Mai im Vosshaus Penzlin statt.
Dr. Kerstin von Schwerin