Erster Kreisrat Friedhelm Ottens und die Geschäftsführerin des Paritätischen Cuxhavens Helle Vanini eröffneten die Fachtagung mit bewegenden Worten zum Thema „Häusliche Gewalt“   Foto: sh

LANDKREIS sh ∙ Zu einer bemerkenswerten Fachtagung hatte „Der Paritätische“ der Stadt und des Landkreises Cuxhaven am Donnerstag ins Kreishaus Cuxhaven geladen. Bemerkenswert vor allem mit der Betonung auf „wert“. Auf der Fachtagung behandelte Experten und Expertinnen das Konfliktfeld häusliche Gewalt und Kindschaftsrecht.

Der Einladung folgten mehr als 120 Teilnehmer und bewiesen damit, wie aktuell das häufig in der Öffentlichkeit immer noch tabuisierte Thema Gewalt in Familien ist. Schon bei der Begrüßung durch Ers­ten Kreisrat Friedhelm Ottens und der Geschäftsführerin des Paritätischen Cuxhaven, Helle Vanini, wurde deutlich, dass diese Fachtagung bei aller Professionalität der Anwesenden auch emotional eine Herausforderung würde. Ziel der Fachtagung sei, so Helle Vanini, eine verstärkte Sensibilität für das Thema sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Politik und bei Behörden zu generieren. Umso bedauerlicher sei es, das sowohl nur wenige Medienvertreter als noch weniger Politiker der Einladung gefolgt seien.

Den ersten Fachbeitrag lieferte die Berliner Rechtsanwältin Christina Klemm. Anhand von zwei Fallstudien zeigte sie den Leidensweg von Betroffenen mit und ohne Kinder auf sowie mögliche Abläufe und Folgen nach einer Trennung, respektive Flucht vom gewalttätigen Partner. Aus ihrer langjährigen Erfahrung kritisierte sie besonders die Abläufe vor Gericht. Es müsse zuerst um den Schutz für die Opfer gehen und erst in zweiter Linie um die Rechte des Täters. Vor allem bemängelte sie, dass die Istanbuler Konvention für die Opfer noch keinen Einlass in die Gerichte gefunden habe. Die Konvention besteht aus der Verpflichtung zur Prävention, dem Schutz und der Unterstützung von Opfern sowie zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter. Außerdem beinhaltet sie die Forderung nach gezielten Schutzmaßnahmen im Sorgerechts- und Umgangsbereich. Christina Klemm stellte fest, es sei schlimm, dass mit dem Scheitern der Regierung auch die längst beschlossene Novelle zum Kinderschutzgesetz nun nicht mehr verabschiedet werde. Überhaupt sei deutlich, dass Deutschland bei der Gewaltprävention eines der europäischen Schlusslichter sei.

In einem weiteren Vortrag zeigte sich ein erschreckendes Deutschlandbild. Der freiberufliche Soziologe und Fachautor Dr. Wolfgang Hammer stellte fest, man wisse was Kindern guttäte und was ihnen schade besser als je zuvor. In familienrechtlichen Verfahren würde dieses Wissen oft nicht beachtet. Stattdessen würde von wissenschaftlich widerlegten Grundannahmen ausgegangen, die zu Entscheidungen führen, die das Kindeswohl gefährden und Grundrechte von Frauen und Kindern verletzen. Als Beispiel nannte er ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, bei dem unter anderem Hinweise einer Mutter auf häusliche Gewalt ignoriert wurden, und die Weigerung der Mutter, einem Wechselmodell zuzustimmen, als mangelnde Kooperationsbereitschaft ausgelegt wurde. Was eine Täter-Opfer-Umkehr bedeute.

Diese unwissenschaftlichen Narrative seien zum einen im gesellschaftlichen Mainstream eingebunden, zum anderen systematisch national und weltweit verbreitet worden. Dass sich diese unwissenschaftlichen Narrative an Jugend­ämtern und Familiengerichten verbreiten konnten, sei vor allem auf gravierende Qualitätsmängel in der Aus- und Fortbildung zum Teil aber auch auf frauenfeindliche Grundeinstellungen im gesellschaftlichen Main­stream zurückzuführen. Ideologisch begründetes Handeln gegen das Kindeswohl und gegen Frauenrechte hätten durch Heimerziehung/Inobhutnahmen, durch sexuellen Missbrauch, destruktive Pädagogik, Bagatellisierung von Häuslicher Gewalt sowie durch Diskriminierung alleinerziehender Mütter durch die geplante Kindschaftsrechtsreform Tradition.

Fachtagungen wie diese zeigen, dass Deutschland noch einen weiten Weg vor sich hat. Wie gut, dass solche Themen immer mehr in die Öffentlichkeit drängen. Noch besser ist es, dass viele daran mitarbeiten, so wie die 120 Teilnehmer jetzt in Cuxhaven. Bemerkenswert!