Freude über die gelungene Zusammenarbeit: Prof. Dr. Marcus Schiller, Dr. Julia Gutting und Thorben Koeppen (v.l.)   Foto: tw

OTTERNDORF/BREMERHAVEN tw ∙ Eisige Kälte, relative Einsamkeit und Phasen ohne Sonnenlicht – hört sich für viele nicht nach dem Ort an, wo sie 14 Monate arbeiten und leben wollen. Doch für Dr. Julia Gutting ist es ein Traum, der in Erfüllung geht. „Ich bin schon immer gern in kältere Länder gereist“, sagt sie. Gespannt verfolgte die Ärztin auch die Mosaic-Expedition der „Polarstern“, dem Eisbrecher des Alfred Wegener Instituts (AWI). Aus Interesse schaute sie auch einfach mal auf der Internet­seite des AWI, was es für Jobangebote gab, und stieß auf die Ausschreibung einer Stelle als Ärztin auf der Neumayer-Station III in der Antarktis. „Das passt genau“, dachte sie sich und bewarb sich im letzten Jahr auf die Stelle. „Das passt“, befand auch das AWI. Und so wird sie sich am 12. November als Mitglied des neuen Überwinterungsteams auf den Weg in die Antarktis machen, um als Ärztin den Wissenschaftlern und Technikern auf der Neumeyer-Station III zur Seite zu stehen.

Doch die letzten vier Monate gab es noch viel zu erledigen für die Fachärztin für Anästhesie und Viszeralchirurgie, die auch als Notfallärztin tätig ist. Und so ist die Baden-Württembergerin seit dem 1. Juli in Bremerhaven, um sich auf dieses Abenteuer vorzubereiten. Viele Vorträge, Materialkunde, Teambil­dungsmaßnahmen, ein Bergkurs in Österreich und ein Brandschutzkurs in Neustadt gehörten zu den Vorbereitungsmaßnahmen. Und da sich Gutting als alleinige Ärztin auf der Neumeyer-Station um alle Beschwerden kümmern muss, stand neben mehreren Wochen am Klinikum Reinkenheide ein dreiwöchiges Praktikum in der Zahnarztpraxis von Zahnärztin Dr. Lisa Schilling und Oral-Chirurg Prof. Dr. Marcus Schiller in Otterndorf auf dem Programm. Für zwei Tage stieß auch Koch Thorben Koeppen dazu. Er ist ebenfalls Mitglied des Überwinterungsteams, und steht in den 14 Monaten in der Antarktis Dr. Gutting zur Seite.

„Das hat unheimlich viel Spaß gemacht“, strahlt die Ärztin in Erinnerung an diese Zeit über das ganze Gesicht. „Wann hat man sonst die Möglichkeit einmal in ein anderes Gebiet reinzuschauen.“ Hätten Humanmedizin und Zahnmedizin doch nichts miteinander zu tun. Jetzt hat sich für sie eine ganz andere Welt aufgetan, die ihr richtig gut gefallen hat. „Man kann den Menschen relativ schnell helfen. Es gibt gleich ein tolles Ergebnis und die Patienten sind super dankbar.“ Die drei Wochen, in denen sie in der Praxis hospitierte, seien schnell vorübergegangen, wozu auch das Super-Team der Zahnarzt-Praxis beigetragen habe. „Man kommt am Abend erschöpft, aber glücklich nach Hause.“

Und auch Thorben Koeppen fand es faszinierend, wie schnell man Menschen ohne Riesenaufwand helfen kann. Er findet es spannend, raus aus der Komfortzone zu kommen, „und mal in den Körper als nur in den Kochtopf zu schauen“, sagt er über seine Nebenrolle als Assistent der Ärztin. Allerdings ist er mit dieser Rolle nicht allein. Zweiter Assistent ist Luftchemiker Lukas Weis.
Das fast immer der Koch einer der Assistenten ist, erklärt sich Koeppen so: „Wir sind es gewohnt Blut zu sehen und als Koch ist man vor allem immer in der Station.“ Was Prof. Dr. Marcus Schiller bestätigen kann. 24 Jahre lang Zahnarzt bei der Bundeswehr, hatte er dort auch fünf Jahre Schiffs­ärzte in den Bereich Zahnmedizin eingearbeitet. Und weiß, dass auch in der Schifffahrt oft der Koch derjenige ist, der dem Arzt – wenn nötig – zur Seite steht.

Bei der Bundeswehr lernte er auch Dr. Tim Heitland kennen, der inzwischen am AWI medizinischer Koordinator und unter anderem zuständig für die Überwinterung ist. Auch als Prof. Schiller seinen Facharzt an der Hochschule Hannover machte, im weiteren Verlauf habilitierte und seitdem dort eine Professur hat, riss der Kontakt nicht ab. Als Dr. Heitland jetzt eine zahnärztliche Ausbildungs­praxis für die Ärzte des Überwinterungsteams suchte, fragte er bei Marcus Schiller an, der in diesem Jahr mit seiner Frau eine Praxis in Otterndorf eröffnet hat, ob er sich vorstellen könne, diese Praxis für das AWI zu werden. „Klar kann ich“, sagte er. Und so fand auch Julia Gutting ihren Weg nach Otterndorf. Untersuchung der Zähne, Füllungen, Wurzelbehandlung – in den drei Wochen lernte sie die Welt der Zahnprobleme kennen. Und die Patienten, die sich freiwillig als „Versuchskaninchen“ zur Verfügung stellten, fanden es spannend, so indirekt auch Teil der Expedition zu sein, so Schiller. Als Ausbildungspraxis des AWI übernehmen er und seine Frau auch das Zahnscreening des Überwinterungsteams und die Telemedizin von zahnärztlicher Seite.
Gut vorbereitet geht es jetzt für Julia Gutting und Thorben Koeppen in den kalten Süden. Und trotz aller Vorbereitung – wie es tatsächlich in der Kälte und Einsamkeit ist, davon müssen sie sich überraschen lassen. Auch wenn Koeppen als Koch auf einem russischen Eisbrecher schon am Nordpol gekocht hat, eine neue Erfahrung wird es auf alle Fälle. Eine, auf die sich beide freuen. „Wenn nicht jetzt, wann dann“, sagt Gutting strahlend.

In ein paar Tagen geht es jetzt für die beiden los. Bis Mitte Januar 2026, also 14 Monate, sind sie dann in der Kälte zuhause. In den Sommermonaten zusammen mit rund 50 weiteren Wissenschaftlern und Technikern. Von März bis Oktober – dem antarktischen Winter – dann als Teil des neunköpfigen Überwinterungsteams, das mit der Außenwelt nur noch über Funk verbunden ist. Ein Szenario, dass selbst wieder spannend für die Wissenschaft ist. Und so sind Dr. Julia Gutting und Thorben Koeppen auch Teil einer Studie der Berliner Charité, die die Effekte von sozialer Isolation und extremen Umweltbedingungen untersucht.