Johannes Gabriel, Charlotta, Jason Frost, Finn, Candice, Lara-Sophie und Julie (v.l.) setzen sich dafür ein, dass beim Thema Online-Sicherheit auch die Stimme der Jugend gehört wird  Foto: tw

CUXHAVEN tw ∙ Dass das Internet und vor allem die Sozialen Medien nicht nur Gutes hervorbringen ist keine große Neuigkeit. Doch ist uns wirklich allen bewusst, welch großen Einfluss sie auf das Leben junger Menschen haben? Und das vor allem in negativer Hinsicht? Gewalt, Mobbing, sexuelle Übergriffe seien keine Seltenheit, so Jason Frost, Gemeinwesenarbeiter beim Begegnungszentrum „Tante Emma“. Ein Thema, mit dem Kinder und Jugendliche oft allein gelassen würden, sich oft schämten, denken sie hätten etwas Falsches gemacht und sie deshalb oft nicht einmal mit ihren Freunden darüber sprächen.

Am Samstag, 1. März, findet in Zusammenarbeit von „Wired Human“ und „Tante Emma“ von 11 bis 15 Uhr ein Kunstworkshop im Begegnungszentrum statt, in dem sich Jugendliche von 12 bis 15 Jahren mit diesem Thema künstlerisch auseinandersetzten können und ihre Erlebnisse mit sozialen Medien durch Malerei, Zeichnung oder anderen Kunstwerken ausdrücken können. Der Workshop ist kostenfrei. Es wird um Anmeldung unter frost@cscux.de gebeten.

Die Idee dazu geht zurück auf die Jugendlichen Charlotta und Finn, die durch ein Sozialpraktikum bei „Tante Emma“ auch „Wired Human“ kennenlernten. Die Jugendinitiative für Kinderschutz im Netz wurde von Jason Frost zusammen mit seiner Frau Lisa in den USA gegründet. „In einer Welt, in der digitale Plattformen Kinder ausbeuten und monetarisieren, ist es unsere Mission, ihre Unschuld zu schützen“, sagt Frost. „Wir bilden Schüler aus und befähigen sie, sich gegen die negativen Seiten des Internets zu wehren, und setzen uns für Gesetze zum Schutz von Kindern vor Online-Missbrauch und -Ausbeutung ein.“

In den USA haben Jugendliche schon erfolgreich gegen eine „Politik des Wegsehens“ demonstriert und sogar vor Politikern in Washington gesprochen. Jugendliche, die zum Teil schon in ihrer Kindheit übelsten sexuellen Missbrauch erlebt haben, und jetzt damit leben müssen, dass Fotos und Videos davon immer noch im Netz zu finden sind und in geschützten Räumen zur „puren Unterhaltung“ angesehen werden.
Was in den Staaten erfolgreich auf den Weg gebracht wurde, ist im letzten Jahr auch in Cuxhaven an den Start gegangen. An der Oberschule Cuxhaven Mitte hat sich eine Jugendgruppe innerhalb der „Wired Human“-Jugendkoalition gebildet. Ein Projekt, dass Charlotte und Finn bereits im vergangenen Jahr gemeinsam mit Schulsozialarbeiter Johannes Gabriel sowohl vor Eltern und Lehrkräften als auch den Schülern vorstellten und dabei auf offene Ohren stießen. Und so gibt es jetzt eine eigene Gruppe in der „Wired Human“-Jugendkoalition. „Was die Schüler und Lehrer dort auf die Beine stellen, ist einfach beeindruckend“, so Frost.

„Wir wollen versuchen junge Menschen im Netz zu schützen“, sagt Ajaan zu ihrer Motivation, Teil der Jugendgruppe zu sein. Sie setzt sich unter anderem für eine höhere Altersgrenze, etwa bei Instagram ein, und vor allem, dass diese auch eingehalten wird. Denn zum Teil würden schon Kinder mit gewalttätigen Videos konfrontiert, „die sie nicht verarbeiten können“. Zusammen mit Candice, Lara-Sophie und Julie zeigte sie als Teil der neunköpfigen Gruppe bei einem Pressegespräch auf, wo die Probleme liegen.
Den Jugendlichen geht es dabei nicht darum, das Internet zu verteufeln. Sie sehen auch das positive, wollen aber auf die Gefahren aufmerksam machen. „Wir sind mit dem Smartphone aufgewachsen“, so Charlotta. Viele Informationen würden dort vermittelt, „man kann mit der ganzen Welt in Kontakt treten“. Es sei eine gute Erfindung. „Aber es ist wie beim Autofahren, es braucht Regeln, sonst gibt es Unfälle“, betont sie.

Sei es Grooming mit Sätzen wie „du bist so sexy, ich werde dich zur glücklichen Frau machen“ oder Mobbing mit Sätzen wie „du bist so fett, du solltest dich umbringen“ als Kommentar zu Fotos etwa auf Snapchat, so Candice. Sie bemängelt aber auch, dass immer interessantere Inhalte angezeigt werden, die einem am Smartphone halten. Sie persönlich hat kein Problem damit, mit Freunden darüber zu sprechen, was sie erlebt hat, und findet es gut, dass es die Jugendgruppe gibt, „in der wir auch besprechen können, wie wir das Problem lösen können“. Lara-Sophie sprach zudem das verzerrte Schönheits­ideal an, dass vermittelt werde, nach dem Motto „so musst du aussehen, so viel musst du wiegen, sonst bist du nicht perfekt“.
Das große Problem sei, dass im Hintergrund eine Künstliche Intelligenz (KI) die Algorithmen steuere, die die Themen vorschlage, die die meiste Aufmerksamkeit erregten, etwa Challenges die zu selbstschädigendem Verhalten aufrufen, erklärte Frost. „Und das aus dem einfachen Grund, durch diese Aufmerksamkeit Geld zu verdienen.“ Summen die in den Milliardenbereich gehen würden, und das auf Kosten der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

„Wir wollen mit der Politik reden und ein Bewusstsein für die Problematik schaffen“, so Charlotta. Denn dem Thema müsse mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Aktuell arbeitet die Gruppe an einem sogenannten Jugend-Tes­timonium, das die negativen Erfahrungen der Jugendlichen auf Social-Media-Plattformen aufzeigt. Die dabei entstehenden Beiträge, zu denen auch die am 1. März entstehenden Kunstwerke gehören, sollen an lokale, regionale und nationale Führungskräfte und Politiker von den Jugendlichen selbst übergeben und präsentiert werden.

„Ähnliche Ansätze in den USA haben Jugendlichen eine große Plattform bei großen Medien- und Führungsevents gegeben“, so Frost. „Wir glauben, dass das auch hier in Deutschland und der EU einen großen Unterschied machen kann, besonders jetzt, wo die Online-Ausbeutung von Jugendlichen durch KI und Algorithmen immer schlimmer wird.“

Der gebürtige US-Amerikaner Jason Frost hat an der Juristischen Fakultät der European University Viadrina Frankfurt (Oder) seinen Master in Menschen- und Völkerrecht gemacht und schon damals seinen Schwerpunkt auf das Thema Kinderrechte und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Internet gelegt. Zurück in Washington schrieb er zusammen mit seiner Frau das Buch „The Glass between us: Empowering Youth to combat digital Exploitation“. Hieraus entstand die gemeinnützige Organisation „Wired Human“.