Stadtrat Michael Frost (l.) und Stadtverodnetenvorsteher Torsten von Haaren legten am Synagogen-Gedenkstein einen Kranz nieder Foto: tw
BREMERHAVEN tw ∙ Es war ein Wendepunkt in der Geschichte des nationalsozialistischen Deutschlands. Das Novemberpogrom war der Auftakt für den Versuch, systematisch die jüdische Bevölkerung zu vernichten. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in ganz Deutschland 91 Juden ermordet, etwa 30.000 verhaftet, 280 Synagogen niedergebrannt. Am Mittwoch letzter Woche gedachte die Stadt Bremerhaven mit einer Gedenkfeier am Synagogengedenkstein an die damaligen Ereignisse, die auch eine Mahnung für das Heute beinhaltete.
„Die Pogromnacht wird für alle Ewigkeit in unserem Gedächtnis bleiben als die Nacht in welcher die vollständige Entrechtung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und Europa besiegelt und der Weg in die Vernichtung bereitet wurde.“ Mit diesen Worten gedachte Stadtrat Michael Frost am vergangenen Mittwoch an die „Reichspogromnacht“ am 9. November 1938 und die Vertreibung und Ermordung von Juden in ganz Deutschland.
„Ihre Freiheit und ihren Schutz zu gewährleisten ist unser aller Auftrag “
Diese Nacht markiere einen von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft initiierten Zivilisationsbruch, der auch daraus bestanden habe, dass es die Vertreter des Staates selbst waren, die die Gewalt am 9. November nicht nur billigten, sondern ermöglicht, vorbereitet, initiiert und organisiert hätten. „Dieses Staatsverbrechen des 9. November markiert bis heute die kollektive Verantwortung Deutschlands für die Shoa. Nicht einzelne waren Täter, sondern der Staat mit all seinen Institutionen.“ Gemeinsam gelte es, sich im Bewusstsein der Verbrechen zu versichern: „‚Niemals wieder‘. Diese Zusicherung geben wir gemeinschaftlich den Mitgliedern der jüdischen Gemeinden in Bremerhaven. Ihre Freiheit und ihren Schutz zu gewährleisten ist unser aller Auftrag den wir uns in allen gesellschaftlichen und allen politischen Bereichen verpflichten.“
Dass es dabei auf mehr als freundliche Worte ankomme, machte Jana Kastens, 2. Vorsitzende der jüdischen Menora Gemeinde Bremerhaven deutlich. Denn das in vielen Jahren gehörte „Nie wieder“ empfänden Juden oft als rhetorische Floskel, als Pflichtübung, weil sie bei vielen nicht vom Herzen komme. „Wir fragen uns: Wie kann es sein, dass die zurückliegende ‚Dokumenta 15‘ Antisemitismus in unerträglicher Weise zur Schau gestellt, gefördert und relativiert hat?“ Boykotte von Juden seien in Deutschland wieder salonfähig geworden, jüdische Künstler zur „Dokumenta 15“ erst gar nicht eingeladen worden. Honorige Preise würden in Europa an Künstler und Wissenschaftler vergeben, die Organisationen unterstützten, deren Ziel es sei, den Staat Israel zu vernichten.
Und sie mahnte auch einen umfassenden Blick auf die Antisemitismusbekämpfung von staatlicher Stelle an. Denn diese konzentriere sich heutzutage zu 90 Prozent auf rechten Antisemitismus. „Wir erfahren jedoch täglich, dass dies nur ein Puzzleteil des heutigen Antisemitismus in Deutschland ist.“ Wer nicht nur „Nie wieder“ sage, sondern von ganzem Herzen meine, sollte sich zumindest gegen den latent herrschenden Antisemitismus in breiten Teilen der Gesellschaft stellen, fordert sie. „Antisemitismus existiert eben nicht nur von rechts und von Nazis, sondern auch beim Bildungsbürgertum, beim linken politischen Spektrum und in der muslimisch-migrantischen Bevölkerung. Es ist keine einseitige Sache.“
Sie erinnerte aber auch daran, dass der 9. November nicht nur ein trauriger Tag, sondern auch ein geschichtsträchtiger Tag in der deutschen Geschichte sei. 1918 wurde an diesem Tag die erste Deutsche Republik ausgerufen, 1989 fiel die Mauer zwischen beiden deutschen Staaten. „Das legte den Grundstein für die Wiedervereinigung und ermöglichte, dass beide deutschen Staaten zusammen zu einem einheitlichen freien demokratischen Deutschland zusammen wuchsen.“
Vor diesem Hintergrund bat sie gemeinsam dafür zu sorgen, „dass sich jüdische Leben in Deutschland in Frieden weiterentwickeln kann und es auch in Zukunft noch Juden in Deutschland gibt, die hier ihre Vorfahren betrauern können.“
Neben den Reden zeigten Schüler des Kreisgymnasiums Wesermünde in einer musikalisch-literarischen Aufführung auf, welche Folgen die Pogromnacht in Bremerhaven hatte, wer die Täter waren und wer die Opfer.
Mit einer gemeinsamen Kranzniederlegung und dem Kaddisch, dem traditionellen Totengebet, gesprochen von Landesrabbiner Netanel Teitelbaum, wurde die Gedenkfeier beendet.