Volker Brüns in Erntelaune: Nicht nur auf die Schönheit, auf den Geschmack kommt es an   Foto: Tonn

NORDHOLZ jt ∙ Im Winterdunst des frühen Morgens sind die Arbeiter aus der Weite nur schemenhaft auf dem Feld am Gänse­pfad hinter dem TSG Nordholz auszumachen. Heute ist Wurzelernte. Denn bei Brüns werden die Wurzeln auch im Winter einmal wöchentlich frisch per Hand für den jeweiligen Markt aus der Erde geholt, auch bei Frost. Im Sommer wird zweimal die Woche geerntet.

„Heute werden die Wurzeln für die Wochenmärkte in Bremerhaven-Geestemünde, Leherheide und Cuxhaven, für den Hofladen in Cappel-Neufelder Sieltrift 47, sowie für das Blumen- und Gemüsegeschäft am Nordholzer Bahnhof aus der Erde gezogen. „Diese Arbeit machen wir auch bei Frost“, betont der 78-jährige Seniorchef Volker Brüns. Von ihm stammt die Idee, Wurzeln auch im Winter erntefrisch an den Kunden zu bringen. Statt im Kühlhaus zu überwintern, bleiben die Karotten in der kalten Jahreszeit zugedeckt im Boden. Ein Wurzelfeld auf diese Weise auch im Winter zu beackern, ist körperlich anstrengende Arbeit. Von der Saat über das Krauten bis zum Ernten ist viel Handarbeit erforderlich. „Das stellt sich der Kunde, der auf dem Wochenmarkt ein Bund Möhren kauft, kaum vor“, betont Volker Brüns.

Bevor es ans Ernten geht, wird die Folie, die als Überdecke dient, zu Seite gezogen. Schwer sei es, die Folie wegzurollen, wenn Wasser darauf gefroren ist oder Schnee liegt. Da müssen alle mit anpacken: Schnee abräumen und Möhren ausbuddeln. „Im Schneewinter 77/78 lagen die Wurzelfelder unter einer 50 Zentimeter hohen Schneedecke. Wir haben den Schnee runtergeräumt und dann geerntet“, erinnert sich Volker Brüns. Heute ist es nur der „Himmelssegen“ der letzten Tage, der die Folie beschwert.

Kein Problem für Gerd Schlawiedt. Er arbeitet seit 43 Jahren für die Gärtnerei Brüns. „Früher schon als Schuljunge“, lacht der 58-jährige aus Cappel-Neufeld und legt sich mit aller Kraft ins Zeug. Ihm bringt die Arbeit auch bei Schmuddelwetter und mit klammen Händen sichtlich Spaß. Unter der Decke kommt Stroh zum Vorschein. „Das sieht aus wie Mist, ist aber Stroh“, lacht der Seniorchef und schiebt es zur Seite, sodass die Ackerkrume freiliegt. „Stroh unter der Zudecke gibt den Möhren Wärme. Bis zu 10/12 Grad minus können sie es mit ihrer Zudecke knapp eine Woche aushalten“, erklärt er. Wir bieten Sommerfrische den ganzen Winter, denn das natürliche Milieu wird nicht gestört.“ Trickfilmhase Bugs Bunny hat schlechte Karten. Durch die Zudecke kommen die Langohren nicht mehr ran. Das einzige Problem sind Mäuse. „In diesem Jahr waren es nicht viele“, sagt Volker Brüns.

Viele hilfreiche Hände und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erforderlich

Heute sind alle Hände gefragt. Schon der Griff nach der Wurzel muss mit viel Gefühl erfolgen, damit die Wurzel unbeschadet herausgezogen werden kann. Auch Ralf Brüns, der zusammen mit seinem Bruder Jörg die Gärtnerei betreibt, packt mit an. Beide Brüder sind Floristikmeister und Gärtner und haben die Liebe zu den Blumen von ihrer Mutter Renate – ebenfalls Floristin – geerbt, erzählt Vaddern stolz. Ehsan Chamran fängt schon mal an, das letzte Grün von den Wurzeln zu zupfen, damit es später in der Wurzelwaschmaschine nicht stört. Der 35-Jährige kommt aus Afghanistan, sechs Jahre ist er in Deutschland, seit einem halben Jahr arbeitet er in der Gärtnerei Brüns.
„Im Winter gibt’s frisch gewaschene Möhren ohne Grün, im Sommer bleibt das Grün dran“, erklärt Gerd Schlawiedt. „Wenn wir das Grün abgemacht haben, fahren wir mit dem Unterschnittroder durch, damit die Wurzeln gelockert sind“, erklärt er. „Dann ziehen wir die Wurzel händeweise heraus und sammeln sie in Kisten. Einen Dreivierteltag sind wir damit beschäftigt. Für den Markt werden die Wurzeln frisch gewaschen und sortiert. 25 bis 30 Prozent des Gemüses werden als Futter verkauft, weil sie verwachsen, geplatzt oder die Kuppen der Wurzeln zu grün sind. Das mag der Kunde nicht, obwohl es in keiner Weise schädlich ist.“

Die Möhre oder Karotte hat viele Namen: Karotte, Mohrrübe, gelbe Rübe, in der Schweiz Rübli und in Norddeutschland Wurzeln; zudem bestimmt sich die Vielfalt aus einer Fülle verschiedener Erscheinungsformen. „Die beste Sorte ist die „Mokum“, findet Volker Brüns. „Sie ist ausgesprochen knackig, frisch und lecker. Neben der Mokum haben wir auch die Rainbow aus fünf verschiedenen Farben gesät. Die orangen Wurzeln verkaufen sich besser, die bunten dagegen haben ihre Liebhaber“, ergänzt Ralf Brüns und schmunzelt.

Karotten waren schon immer orange? Nicht ganz. Die in Europa verbreitete mittelalterliche Karotte war weiß und manche lila. Erst die Holländer gaben ihnen diese Farbe und sind verantwortlich dafür, dass orange Mohrrüben heute Gang und gäbe sind. Eine Legende besagt, dass Pflanzenzüchter ihrem Prinzen Wilhelm von Oranien schmeicheln wollten und kurzerhand Gemüse in seiner Wappenfarbe züchteten. Dadurch hat sich die orange Wurzel über ganz Europa verbreitet. „Ob orange oder weiß, welches nun die Urwurzel ist, darüber streiten sich die Götter“, meint Volker Brüns mit einem Augenzwinkern.