Der Name ist Programm: „Wir suchen Spuren“ – so hat man früher gepflügt        Foto: jt

OBERNDORF jt ∙ Bis zur Eröffnung der Ostebrücke 1977 holte der Fährmann mit der Prahmfähre, die von der Strömung angetrieben wurde, die Menschen über die Oste. Seine lederne Original-Tasche mit den Billetts hängt an der Wand. Und die Fähre im Kleinformat zum Ausprobieren überrascht die Besucher. „Wir haben den letzten Fährmann in unserem Heimatverein, er kann das genau erklären“, erzählt Dieter Köpke, 1. Vorsitzender der Heimatfreunde Oberndorf e.V..

Schon der Eintritt in den Vorraum, die „kleine Kneipe“, überraschte mit Gemütlichkeit. Beim Sitzen am Tisch mit gestärkten Spitzentischdeckchen, fühlte man sich wie bei Oma zu Hause. Das alte Radio, das Tonband und das Harmonium lassen Melodien erwachen. Dazu die Kiste mit den Liederbüchern der Oberndorfer Liedertafel und ihre Fahne. Man sollte meinen, die Sänger kämen gleich auf ein Bier herein. Die Scheiben der friesenblauen Tür sind mit so naturgetreuen Fotos hinterlegt, dass man meint, man schaue hinaus in die Dorfstraße bis zum Deich.

Am Anfang war das WC…

Alles begann mit der Toilette. Das Dorf wollte gerne ein öffentliches WC haben. In einem der ehemaligen Kolonialwarengeschäfte wurde es in einem Nebeneingang installiert. Die „Oberndorfer Heimatfreunde“ nutzten seit ihrer Gründung 1984 dessen Hauptgebäude. Viele Jahre fand man dort eine umfangreiche Sammlung von Schätzen und Kuriositäten aus alten Zeiten. Um daraus dieses „anfassbare“ Museum zu gestalten, brauchte es ein tolles Team, dass sich aus den 77 Mitgliedern des Vereins aktiv einbrachte.
Und natürlich auch finanzielle Mittel. „Allen voran hat uns als Neubürgerin Barbara Schubert von der Kombüse beim Konzept mit unheimlich viel Kreativität geholfen“, erzählt Inge Köpke von den Heimatfreunden Oberndorf. Barbara habe es tatsächlich geschafft, durch Verteilen von Flyern eine beachtliche Summe von der Bevölkerung gespendet zu bekommen. Dazu gesellten sich Fördergelder und öffentliche Mittel. Zuerst aber musste ein Konzept erstellt werden, damit die „ollen Klamotten“ systematisch geordnet werden konnten. So vergingen acht Jahre von der Idee bis zur Einweihung 2018. Am Anfang war es recht beengt, aber bei der Dorferneuerung kam noch eine anhängende Scheune dazu. Das oberste Ziel war: Spuren der Vergangenheit lebendig werden zu lassen.

Die Räumlichkeiten sind liebevoll bis ins letzte Eck gestaltet. „Wir haben im Verein talentierte und kreative Menschen; unter anderem auch eine Restauratorin, die sich um die Bilder gekümmert und vielfältig eingebracht hat“, freut sich Inge Köpke. „Wir haben immer viel Spaß miteinander, vor allen Dingen, wenn wir Freitag von 14 bis 18 Uhr geöffnet haben. Um 16 Uhr gibt‘s dann Tee für uns und alle Gäste. In Coronazeiten sollte man sich vorher informieren.

Einkaufen – die vielen Schubladen des ehemaligen Bäckertresens zeigen unter anderem das Wareneingangsbuch des damaligen Gemischtwarenladens der Familie von Dollen. Vom Stacheldraht über Nägel und Eier bis zur Wolle konnte man dort alles erstehen. Zu unterschiedlichen Preisen: 1912 kostete ein Ei 7 Pfennig. 1923 ließ die Inflation den Preis stündlich in Papiermark ansteigen bis 320 Trillionen. Zahnschmerzen? Die Zahnarztpraxis mit Stuhl und Instrumenten wirkt nicht so einladend. Dafür die Statistik der früheren fünf Schulen umso mehr. Schon manch alter Schulfreund wurde hier wiedergefunden.

Großer Waschtag in Oberndorf. Stolz zeigen die Bäuerinnen ihre gestickten Unterröcke sowie Tisch- und Bettwäsche auf der Leine. Waschbrett, Wringe, Rolltuch, Heißmangel und Bügeleisen lassen die Mühsal der Hausfrauen erahnen. Die kuriose Waschkiste vom jungen Bäckerlehrling aus dem Ort wurde mit der Postkutsche zum Waschen zur Mutter von Cuxhaven nach Oberndorf gebracht. Die Anschrift stand auf dem Deckel. Zum Rücktransport der sauberen Wäsche wurde der Deckel umgedreht auf die Kiste geschoben. Da stand nämlich die Adresse der Bäckerei in Cuxhaven drauf.

Immer wieder stößt man auf ungewöhnliche Sammlungsstücke, wie die Wellenbadschaukel, eine lustige Badewanne, oder Wöchnerinnengeschirr aus dem Jahr 1830.
Landwirtschaft – Der Pflug mit zwei wunderbaren selbstgebauten Holzpferden, die sich mit dem Zügel sogar bewegen lassen, wird so manches Kinderherz erfreuen. Und manch alten Bauern daran erinnern, wie er mit Pferd und Pflug seine Felder bestellte.

Nach dem 2. Weltkrieg waren noch drei Ziegeleien in Oberndorf ansässig. Die letzten Steine der, für Oberndorf bedeutenden Ziegelei Dohrmann, sind noch aufgestapelt. Früher wurden sie zur weiteren Verwendung auf der Oste nach Hamburg transportiert. Und ein Projekt der ehemaligen Grundschule zeigt, wie ein Haus mit selbstgebrannten Steinen und Reetdach errichtet wurde.

Das waren noch Zeiten als man seine kaputten Schuhe in die Schusterwerkstatt bringen konnte. Heute steht die Einrichtung im Museum, und das Handwerk des Schusters ist im Dorf nicht mehr zu finden. Es gab auch zwei Reepschläger im Ort, ein damals traditioneller Handwerksberuf für die Seilherstellung.

Kriegsgefangene wurden zu Freunden

Dass es in Oberndorf nicht nur heile Welt gab, zeigen dunkle Regalfächer mit ihrem Inhalt. Das Schicksal der Josefa Sierun, die in der Oste ertrank, wahrscheinlich durch Selbstmord, wird hier im Museum zu einem unvergessen Schicksal. Beeindruckend und zugleich schauerlich ist die Geschichte der beiden betagten Frauen, die im Armenhaus in einem Zimmer unter engsten Verhältnissen untergebracht waren und die eine die andere umbrachte, weil sie deren Anwesenheit nicht mehr ertragen konnte. Die Täterin war übrigens die letzte Todeskandidatin, die auf dem Richtplatz bei Cadenberge in der Wingst enthauptet wurde, (wo der Stader Scharfrichter Schwarz sein schauerliches Handwerk vollführte). Neben den dunklen Seiten gab es auch Lichtblicke. Zum Beispiel, dass Gefangene zu Freunden wurden. Sie schenkten als Dank für die gute Behandlung auf den Höfen eine Puppe aus Polen.

Das Museum kann man im wahrsten Sinne des Wortes „erleben“. Durch Spurensuche werden einzelne Geschichten lebendig. Und genau wie das Wasser in der Oste immer weiter fließt, sind auch die Ideen der Oberndorfer Heimatfreunde in ständigem Fluss. „Wir sind dabei, ein altes Schöpfwerkgebäude zur Außenstelle des Museums umzugestalten“, verrät der 1. Vorsitzende. Es soll das Modell der dortigen Werft entstehen. Und ein Rund­umerlebnis ist geplant. Es könnte mit einer Führung durch das Museum beginnen, dann ein Rundgang durch das Dorf zum Schöpfwerk stattfinden und der krönende Abschluss ist in der Kombüse. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: Die Oberndorfer sind wirklich ideenreich und setzen sie dann auch noch um. Ihre Spuren sollte jeder suchen.