EWE-Vorstandsvorsitzender Stefan Dohler Foto: Vollmert
OLDENBURG re ∙ Die derzeitige Energiekrise zeigt deutliche Auswirkungen auf den Energie- und Telekommunikationsdienstleister EWE im ersten Halbjahr 2022. Das Operative EBIT, die um Sondereffekte bereinigte Kennzahl für die Leistungsfähigkeit des operativen Geschäfts, fiel in diesem Zeitraum auf 136,7 Millionen Euro und damit um mehr als die Hälfte des Vorjahreswertes (1. Halbjahr 2021: 286,8 Millionen Euro). Von dem stark zurückgegangenen Operativen EBIT konnte das Gemeinschaftsunternehmen Alterric etwa zwei Drittel erwirtschaften. An Alterric ist EWE zu 50 Prozent beteiligt, das Unternehmen wird aber vollumfänglich in der EWE-Bilanz berücksichtigt. Im Markt-Segment, in dem der klassische Energievertrieb und -handel bilanziert werden, hat EWE einen operativen Verlust in Höhe von Minus 176,2 Millionen Euro zu verzeichnen.
Zum 30. Juni des laufenden Geschäftsjahres stieg der Konzernumsatz um 31 Prozent auf 3.980,5 Millionen Euro (1. Halbjahr 2021: 3.037,7 Millionen Euro). Das Periodenergebnis des Konzerns stieg im Vorjahresvergleich im Wesentlichen aufgrund von Bilanzierungs- und Bewertungseffekten im Energiebereich, die nicht zahlungswirksam sind, auf 712,4 Millionen Euro (1. Halbjahr 2021: 284,5 Millionen Euro) an.
EWE-Finanzvorstand Wolfgang Mücher erläutert: „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt deutliche Auswirkungen und belastet auch unser Geschäft im besonderen Maße. Das um Sondereffekte bereinigte operative Ergebnis macht deutlich, wie unser Alltagsgeschäft unter Druck steht. Wir können die sehr hohen Energiebeschaffungskosten nicht direkt an unsere Kunden weiterreichen, daher erzielen wir in unserem eigentlichen Hauptgeschäft in diesen Zeiten Verluste. Gerade jetzt benötigen wir aber dringend Investitionsmittel, um weiter daran zu arbeiten, unabhängig von russischen Energielieferungen zu werden und die Energieversorgung nachhaltig auszubauen. Deutliche Auswirkungen auf unsere Bilanz zeigt wieder die Stichtagsbewertung der Derivate. Diese sind auf dem Papier stichtagsbezogen viel wert, allerdings stellen wir mit diesen früh beschafften Energiemengen die Versorgungssicherheit her und stabilisieren die Preise für unsere Kunden. Daher zeigen sowohl EBIT als auch das Periodenergebnis deutlich verzerrte Werte.“
Gasspeicher gefüllt
EWE konzentriert sich im zweiten Halbjahr vollständig auf die Versorgungssicherheit. Dazu gehören Investitionen in erneuerbare Energien, der Bau der LNG-Pipeline, um Speicher anzubinden, eine schnell wachsende Wasserstoffwirtschaft und gefüllte Gasspeicher. Die von EWE genutzten eigenen Speicher sind zu über 99 Prozent gefüllt und leisten somit einen erheblichen Beitrag für die Versorgungssicherheit in diesem Winter. „Mit diesen gut gefüllten Speichern leisten wir einen Beitrag, um auch bei weiter ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland eine Gasversorgung im Winter zu gewährleisten. Es sind aber zusätzlich erhebliche Anstrengungen im Bereich der Einsparungen erforderlich“, so EWE-Vorstandsvorsitzender Stefan Dohler.
Ausbau erneuerbarer Energien
Alterric, das Gemeinschaftsunternehmen von EWE und Aloys-Wobben-Stiftung, ist einer der führenden Grünstromerzeuger in Europa. Das seit dem letzten Jahr bestehende Unternehmen strebt eine installierte Gesamtleistung von rund fünf Gigawatt bis 2030 an und hat bereits erste Windparkprojekte realisiert und europaweit Genehmigungen für neue Anlagen eingeholt.
„Die aktuelle Krise verdeutlicht noch einmal, wie wichtig der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien ist“, berichtet Stefan Dohler, „mit Alterric haben wir ein auf Wachstum ausgerichtetes Unternehmen, das einen wesentlichen Beitrag für eine nachhaltige und diversifizierte Energieversorgung leisten wird. Regulatorische Vorgaben erschweren leider weiterhin den notwendigen Ausbau. Zusätzlich verzeichnen wir in diesem Jahr enorm gestiegene Materialkosten. Daher ist es wichtig, dass uns nicht die Investitionsmittel genommen werden, sondern uneingeschränkt für die nachhaltige Energieversorgung zur Verfügung stehen.“
Bau der LNG-Pipeline und Aufbau der Wasserstoffwirtschaft
Das aktuell in Wilhelmshaven entstehende LNG-Terminal leistet einen wesentlichen Beitrag, um schnell unabhängig von russischen Gaslieferungen zu werden. Das dort anlandende Flüssig-Erdgas wird durch den Fernleitungsnetzbetreiber OGE und EWE zu Speicheranlagen und weiterführenden Transportnetzen geleitet. Dafür plant EWE im Raum Sande eine eigene Leitung an die neue OGE-Pipeline, um die Speicherstandorte Jemgum und Huntorf anzuschließen. Die EWE-Leitung wird auf einer Länge von rund 70 Kilometern im Erdreich durch landwirtschaftliche Grundstücke von rund 1.000 Eigentümern verlaufen.
Stefan Dohler: „Mit unserer Leitung sorgen wir dafür, dass rund vier Millionen Haushalte im Nordwesten und darüber hinaus sicher mit Energie versorgt werden können. Dieses Projekt genießt absolute Priorität und wir streben an, bereits im kommenden Jahr die Leitung in Betrieb zu nehmen. Perspektivisch können wir unsere Pipeline auch für grünen Wasserstoff nutzen. Wir errichten also nicht nur eine kurzfristige Lösung, sondern einen zentralen Baustein einer zukünftig nachhaltigen und klimaschonenden Energieversorgung.“
Auch den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft setzt EWE weiterhin konsequent mit Partnern um. „Grüner Wasserstoff wird wesentlicher Bestandteil der zukünftigen Energieversorgung sein. Wir setzen ihn schon heute ein. Gemeinsam mit Partnern bringen wir beispielsweise Wasserstoffbusse und -müllfahrzeuge auf die Straße, erreichten kürzlich den nächsten großen Meilenstein beim Bau unseres Wasserstoffspeichers im brandenburgischen Rüdersdorf und unterstützen in Bremen das Stahlwerk dabei, auf eine grüne Energieversorgung umzustellen“, erläutert Stefan Dohler.
Gemeinsam durch schwierige Zeiten
Stefan Dohler betonte noch einmal, dass sich das Unternehmen durchaus bewusst ist, was die sehr hohen Energiepreise von den Menschen und Unternehmen abverlangen. EWE wird sich daher weiter intensiv dafür einsetzen, die Energiewende so schnell wie möglich umzusetzen und beteiligt sich am geplanten Härtefallfonds des Landes Niedersachsen.
„Wir stehen vor zwei sehr harten Jahren. Für diesen Winter sind wir einigermaßen gerüstet. Der Winter des kommenden Jahres stellt uns aber schon jetzt vor große Herausforderungen. Die Menschen in unserer Region konnten sich Jahrzehnte darauf verlassen, dass wir sie zum einen zuverlässig mit Energie versorgen und dass wir zum anderen die Region finanziell unterstützen. Daran halten wir fest. Wir gehen den Weg in eine nachhaltige Energieversorgung konsequent weiter. Dafür brauchen wir aber auch politische Unterstützung, eine solide wirtschaftliche Basis und gemeinsames, solidarisches Handeln“, so Stefan Dohler.