Marie-Luise Grefe (l.) führte Birgitta Gooß-Wedemeyer auf die Spur der Altartafel, die ihre Vorfahren stifteten: das Triptychon (im Foto l. im Hintergrund zu sehen) hängt jedoch ein bisschen versteckt Foto: tw
OTTERNDORF tw ∙ Erst vor kurzem wurde die Gloger-Orgel in der St. Severi-Kirche wieder eingeweiht. Um die Sanierung zu unterstützen, hatte Birgitta Gooß-Wedemeyer Patenschaften für die Gloger Orgel verschenkt und wollte sich jetzt auch einmal die Spendentafeln anschauen, die neu in St. Severi hängen. Als sie die Kirchenwächterin Marie-Luise Grefe ansprach, und diese sagte: „Du musst unbedingt kommen. Hier hängt noch etwas ganz Besonderes, dass du dir anschauen musst“, ahnte sie nicht, dass sie etwas viel wertvolleres für sich persönlich entdecken würde.
Eine dreigliedrige Altartafel, auf der das Wappen der Familie Gooß zu sehen ist. Ein Werk mit kunstgeschichtlicher Bedeutung, wie der Kunsthistoriker und Theologe Dr. Dietrich Diederichs-Gottschalk in seinem Buch „Kunst als Schaubühne – Die mittelalterlichen Kirchen des Landes Hadeln und ihre protestantische Ausstattung“ herausgearbeitet hat.
„Das Bild lebt mit den Menschen. Man entdeckt immer wieder neue Details“, sagt Gooß-Wedemeyer begeistert. Am meisten fasziniert sie jedoch das Wappen, das am unteren Rand der mittleren Tafel zu sehen ist und ein Zeichen für die Stifter der Altartafel ist. Auf dem Wappen zu sehen ist eine Gans auf einer Armbrust stehend. Darüber ein Ritterhelm auf dem ebenfalls eine Gans steht. Ein Wappen, dass sie nur zu gut kennt. Hat sie doch selbst ein Bild des Wappens der Familie Gooß zu Hause, das eindeutig gleichen Ursprungs ist.
Dass es sich um das Wappen der Familie Gooß handelt, beweist der reich verzierte Pastorensitz und Beichtstuhl, der an der nördlichen Wand der zum Schiff angrenzenden Chorhalle von St. Severi steht. Denn auf dem Aufsatz finden sich nicht nur die Wappen der Stifter, sondern auch deren Namen – Hey Gos und Anna Gos. Laut Diederichs-Gottschalk eines der prächtigsten Kirchenmöbel des Elbe-Weser-Raums und eine der schönsten Bildhauerarbeiten des Otterndorfer Meisters Jörgen Heytmann.
Doch zurück zu den drei Ölgemäldetafeln, deren Kunstfertigkeit Diederichs-Gottschalk so beschreibt: „Die Stofflichkeit der Tuche wird durch abgestufte Lichteffekte verstärkt, die Gesichter der Personen werden individuell modelliert und ziehen dadurch verstärkt die Blicke auf sich. Landschaft, Himmel, Licht und Schatten auf der Architektur; die feine farbige Modellierung der größeren Vordergrundflächen wird bis ins Detail farbig akzentuiert. Die Kompositionen des Vorbilds werden maltechnisch herausgearbeitet. Da war kein Kolorist am Werk, sondern ein Maler mit Gestaltungskönnen.“
„Wenn Marie-Luise nicht gewesen wäre, hätte ich das nie erfahren“, so Gooß-Wedemeyer. Und ist auch begeistert, dass Diederichs-Gottschalk mit seinem Buch auf diese Kirchenschätze aufmerksam macht. Sie findet es – ebenso wie Kirchenwächterin Marie-Luise Grefe – nur bedauerlich, dass die Altartafel versteckt im Hintergrund der Kirche hängt, und sind sich dabei mit Diederichs-Gottschalk einig. Hat das Triptychon doch nicht nur einen künstlerischen, sondern auch geschichtlichen Wert. Denn es ist die erste protestantische Altartafel in St. Severi, die der Kunsthistoriker auf den Zeitraum spätes 16. Jahrhundert bis zu den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts datiert. Zurückzuführen sei das Otterndorfer Triptychon auf Vorlagen des berühmten niederländisch-flämischen Zeichners und Kupferstechers Hendrick Goltzius; den Maler der Altartafel ordnet er dem Umkreis des Lübecker Malers Johannes Willinges zu. Über Umwege kam die Altartafel 2001 zurück in die St. Severi-Kirche, erhielt zuerst einen Platz im nördlichen Chorraum, wurde 2016 aber unter die Westseite der Empore verlegt. „Das ist, aus liturgie- und kunstgeschichtlicher Perspektive kein richtiger Platz, zumal man auf das Gemälde dort keine freie Sicht hat“, so Diederichs-Gottschalk.
Mehr über die faszinierenden Kunstwelt von St. Severi können Besucher ab März wieder während der offenen Kirche bei Kirchenwächterin Marie-Luise Grefe und ihren Kollegen erfahren.