Es gab nichts Schöneres, als eine Runde im Karussell zu fahren, auch die Erwachsenen hatten Spaß daran. Das Foto ist von 1931. Mit Hut und Kaiser-Wilhelm-Bart: Opa Wilhelm Sehlmeyer, der 1924 mit dem Kinderkarussell alles ins Rollen brachte         Foto: Sehlmeyer

CUXHAVEN jt ∙ Schausteller Volker Sehlmeyer stellt am kommenden Herbstfleckenmarkt zum letzten Mal sein historisches Kinderkarussell selbst auf. Nach 45 Jahren Schaustellerleben nimmt er dann seinen Abschied und geht in die wohlverdiente Rente. Das Karussell bleibt aber in Familienhand und wird sich weiterdrehen. Ein willkommener Anlass, noch einmal die Historie des Karussells Revue passieren zu lassen.

Volker Sehlmeyer ist ein Kind der bunten Jahrmarktswelt. Geboren 1957 im klassischen Schaustellerwohnwagen während des Ostermarktes auf dem Ritzebütteler Marktplatz. Ausgerechnet auf einem Sonntag mit Kirchengeläut. Mit seinem Vater und dessen Karussell zog Volker Jahr für Jahr über die Volksfeste unserer Region. Als Wanderschüler hat er etwa dreißig Schulen besucht.

Auf vielen Märkten und Festen dreht sich das historische Kinderkarussell – und mit ihm die Kinder. „Die Seele eines Karussells definiert sich durch die Besatzung der Karussellfiguren“, findet Volker Sehlmeyer. Die wunderschön geschnitzten Karussellpferdchen und auch Bambi sind so liebevoll gearbeitet, dass sie wirklich zu leben scheinen – ein wahrer Kontrast zu den kalten und charakterlosen Plastiktieren der heutigen Zeit.

Urgroßvater Ernst-Wilhelm Sehlmeyer war Postreiter. Er kam über die Dörfer, hörte und sah viel. 1924 entdeckte er im Bereich Neuenkirchen ein baufälliges Karussell und erwarb es. Mit seinem Sohn richtete er es wieder her. Damals musste das Karussell noch per Hand angeschoben werden. Im Laufe der Jahre wurde der Antrieb durch die Zugkraft zweier Pferde ersetzt. Die Tiere, die auch die kleinen Karussellwagen von Ort zu Ort zogen, wurden im Wechsel eingespannt; für die Pferde das pure Vergnügen. Manchmal wurden sie dermaßen mit Streicheleinheiten, Mohrrüben, Zuckerstückchen und Maiskolben verwöhnt, dass der alte Sehlmeyer Einhalt gebieten musste. Es war auch eine gern genutzte Unsitte der Kinder, aufzuspringen und eine halbe Umdrehung mitzufahren. Wenn der alte Sehlmeyer das mitkriegte, knallte er mit der Peitsche.

In den jeweiligen Orten wurden die Tiere bei den naheliegenden Bauern untergebracht. 1956 bekam das Karussell einen Elektromotor als Antrieb, die Zugpferde hatten ausgedient. Der erste LANZ-Bulldog kam zum Einsatz, später dann HANOMAG-Schlepper. Aus Holzrädern wurden Elastik-Vollgummireifen und später die erste Luftbereifung. Ausgangsposition war seit jeher Groden. Als Großvater Wilhelm Sehlmeyer das Karussell übernahm, waren es vorwiegend Schützenfeste und der Cuxhavener Fleckenmarkt, auf dem das Fahrgeschäft aufgebaut wurde. Die Reisen bewegten sich bis Stade und Bremerhaven. Immer zu Ostern setzten sich die beiden Transportanhänger mit den in Eisen gefassten Holzrädern in Bewegung. Man fuhr von Ort zu Ort, blieb für etwa eine Woche.

Einer der Anhänger diente als Wohnwagen. Dank seiner Schindel-Holzaufbauten aus Pitch Pine konnten ihm Wind und Wetter nur wenig anhaben. Nur das Kinderkarussell war den Launen der Natur ausgesetzt. Sonnenstrahlen und Hitzeperioden setzten ihm zu. Je besser eine Saison verlief und je mehr Kinder ihre Runden drehten, desto höher waren auch die Abnutzungserscheinungen. Ständig musste ausgebessert werden. Bevor es Elektrizität gab, bestand die Beleuchtung aus alten Karbidlampen oder Stalllaternen. Erst in den 60er Jahren sorgten Glühbirnen für bunten Jahrmarktszauber. Bestickte Stoffe und Kunstperlen dienten als Dekoration. Die Augen der Pferde, des Löwen und des Schweins bestanden aus Glasmurmeln.

Sehlmeyers Holzpferde rochen zudem nach echtem Pferd. Echte Rosshaare machten die Illusion eines lebendigen Wesens perfekt. „Durch gute Kontakte zu Rossschlachter Pupke in Neuhaus konnten wir echtes Rosshaar für Mähnen und Schweif einsetzen“, verrät Volker Sehlmeyer. So echt, dass viele Mädchen den Pferden Zöpfe flochten. Großvater und Vater mussten sie dann mühsam wieder entflechten. Dabei verlor der Pferdeschweif jedes Mal mehr Haare.

Für satten Orchestersound sorgte eine italienische Jahrmarktsorgel. Die Walzenorgel war im Mittelbau zwischen den Stützbalken des Karussellmastes untergebracht. Hier hockte auch der Orgeldreher. Zwölf bis vierzehn Lieder – von „Schwarze Augen“ bis „Alle Vöglein sind schon da“ – konnte er zum Klingen bringen. Nach der Orgel kamen Plattenspieler zum Einsatz, mit Hits von Freddy, Ronnie, Manuela und Heino. Später kam die Musik vom Tonband, dem legendären Grundig TK 14. Heute übernehmen USB-Stick und DVD-Player die Musikbeschallung.

Gegründet wurde das Sehlmeyersche Unternehmen 1897 in Cuxhaven. Begonnen wurde mit einer zehn Meter langen Schießbude, die 1944 durch einen Bombenangriff auf dem Ritzebütteler Marktplatz zerstört wurde. Der harte Nachkriegswinter führte dazu, dass einige Holzpferde verkauft werden mussten. Ebenso die nostalgische Orgel. Ein englischer Besatzungsoffizier erstand die Kostbarkeit für wenig Geld. „Während des Krieges gab es kaum Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Also mussten wir Opfer bringen, um durch diese schwierige Zeit zu kommen“, so Sehlmeyer. Ende der 50er Jahre war Volker Sehlmeyers Vater Ernst-August Betreiber des Geschäftes. Der hatte nach dem Krieg eine Lehre als Schiffszimmermann absolviert, arbeitete auf der Beckmann-Werft in Cuxhaven. Als er das Schaustellerleben Mitte der 60er Jahre weiterführen sollte, wurde das Karussell komplett restauriert. Als Zimmermann konnte er viele Holzarbeiten selbst ausführen; während der Wintermonate im kleinen Hause der Sehlmeyers in der Alten Marsch.

Eine Besonderheit sind die handgemalten Ölmalereien von Märchenmotiven auf der Dachkante. Als Kunstmaler wurde der damals bekannte Emil Heins aus Cuxhaven beauftragt. Seine Bilder sind noch heute in einigen Cuxhavener Gaststätten zu bestaunen. Das gute alte Kinderkarussell brachte vielen Menschen Freude und Kurzweil. Für Familie Sehlmeyer bedeutete es Lebensunterhalt und Broterwerb. Die Veranstaltungen haben sich gewandelt. Weniger Schützenfeste, dafür mehr Straßenfeste und der Weihnachtsmarkt. So konnte die Schaustellerfamilie die Wintermonate überbrücken. Bis heute dreht sich das Karussell auf vielen Märkten der Region. Von Neuenwalde über Bad Bederkesa bis nach Spaden und Loxstedt. Die Spitze des Karussells ziert nach wie vor der Clown mit dem Akkordeon. Auf dem Feuerwehrauto thront ein handgeschnitzter und handbemalter Feuerwehrmann von 1924. Auch in Zukunft soll das Karussell Freude von Ort zu Ort bringen, so wünscht es sich Volker Sehlmeyer für das Familienunternehmen.