Ines Burdow begeisterte mit ihrer mitreißenden Performance nicht nur das Publikum, sondern auch Bürgermeister Claus Johannßen, der sagte: „Ich bin überwältigt und geflasht. Das war ganz große Klasse“   Foto: tw

OTTERNDORF tw ∙ „Was für ein großes Geschenk, dass ich noch einmal hier sein konnte.“ Stadtschreiberin Ines Burdow strahlt übers ganze Gesicht, wenn sie von den vergangenen vier Wochen in Otterndorf erzählt. „Es ist immer noch schön, die Leute immer noch supernett“, sagt sie. Und erzählt von einer Begegnung mit einem älteren Ehepaar im Café, mit dem sie gleich ins Gespräch gekommen ist, und lange über Bücher reden konnte. „Ich komme wieder zurück“, sagt sie begeistert.

Ihren ersten Kontakt mit dem Nordseebad hatte die Schauspielerin, Autorin und Regisseurin vor 16 Jahren, als sie damalige Stadtschreiberin für ganze fünf Monate war. Nach Otterndorf kam sie als Autorin, ihr erster offizieller Beruf war jedoch Schauspielerin „aber ich habe schon ganz früh angefangen zu schreiben, habe es bloß selbst nicht so ernst genommen“. Inzwischen ist sie in vielen Bereichen tätig, war am Berliner Ensemble engagiert, spielte Hauptrollen in der Oper, realisiert Features und Essays für die Kulturradios der ARD-Anstalten. Seit 2018 ist sie im Leitungsteam für „Die Andere Welt Bühne“ in Strausberg, wo sie auch regelmäßig auf der Bühne steht, Stücke schreibt und inszeniert.

Im Zuge des 625-jährigen Stadtjubiläums war sie im Juni die erste von fünf Stadtschreibern, die eine erneute Einladung für jeweils einen Monat im inzwischen renovierten Gartenhaus am Süderwall erhalten hat. Für Burdow eine Zeit, in der sie in Ruhe viel aufarbeiten und an Begonnenem weiterarbeiten konnte. „Das war gut und wichtig“, sagt sie. „Ich war aber auch viel unterwegs. Eine gute Balance.“ Und dabei merkte sie, wie auch eine Art Erholung bei ihr ankam. „An den Deich fah­ren und aufs Meer schauen und ich bin wieder aufgeladen.“

Und es ist dann auch ein ganz privater Moment, der ihr für immer in Erinnerung bleiben wird – der Besuch ihrer Mutter. „Bisher kannte meine Mutter Otterndorf nur aus meinen Erzählungen und jetzt konnte ich ihr mein Otterndorf zeigen. Das war ganz bezaubernd und wird immer Teil unserer gemeinsamen Biografie sein.“

Zum Abschluss ihres vierwöchigen Aufenthalts verabschiedete sich Ines Burdow am Freitag letzter Woche mit einer szenischen Lesung, die die Besucher in der Stadtscheune mit ihrer darstellerischen Wucht begeisterte. In ihrem Ein-Personen-Stück „Der Untertan spricht“ holte sie Heinrich Manns Romanfigur ins heute und lässt ihn selbst sprechen. Was Burdow selbst als Lesung ankündigte – da sie ja als Stadtschreiberin da sei – entwickelte sich zu einer eindrucksvollen Performance. Mal mit leisem weinerlichem Ton, listig, dann empört aufschreiend, mal mit militärischem Drill in der Stimme, dann wieder voller Unterwerfung hielt es sie nicht am Schreibtisch. Sie lief durchs Publikum, sprach es direkt an und holte es mit in ihre Performance. Und zeigte so auf, wie ein kleiner, eigentlich schüchterner Junge schnell entdeckt, mit Denunziation und Unterwerfung Macht zu erlangen.

Das ihre Wahl auf den „Untertan“ fiel, hat nicht nur mit ihrer Liebe für Heinrich Manns Werke, sondern auch mit der aktuellen politischen Situation zu tun. „Der Untertan ist in den letzten Jahren immer wieder hochgeschwappt“, sagt sie, sei er doch immer noch aktuell. Nicht umsonst sagt Diederich Heßling in ihrem Stück „Heinrich Mann ist nicht meine Mutter. Ich war schon vorher da und bin wieder da“, denn Menschen wie ihn habe es immer schon gegeben, auch heute noch. Menschen, die sich beugen, um zu herrschen und nach unten treten, um ihr eigenes Machtgefühl zu steigern. „Eine heftiges Thema, das aber auch Spaß gemacht hat, es auf die Bühne zu bringen“, sagt sie. Doch es ist eine Komik, die einem im Hals steckenbleibt, ein Humor, der den Schrecken erst richtig sichtbar macht. Und so aufzeigt, wie alt­überwunden geglaubtes wieder aufersteht. Dass sie Heßling in ihrem Monolog auch sagen lässt: „Ich bin eine Erfindung, eine Idee, eine Metapher“, eine Figur, „erschaffen, um euch zu warnen“, nur passend.
Für sie war das Schreiben von „Der Untertan spricht“ deshalb auch ein Mittel nicht zu verzweifeln. „Ich tue, was ich mit meinen Mitteln tun kann – und das laut.“ Und das tut sie, um die Menschen zusammenzubringen, die merkten, dass sie nicht alleine sind. „Das hält einen bei der Stange, um nicht verrückt zu werden.“

Am Sonntag ging es für sie jetzt erst einmal zurück nach Berlin, um dann auch wieder bei ihrem Theater vorbeizuschauen.

Und während es für Ines Burdow Zeit war Abschied zu nehmen, ist inzwischen mit Daniele Palu der Stadtschreiber des Jahres 2023 erneut ins Gartenhaus gezogen (Siehe Seite 7).