Bevor es zum Gruppenfoto ging, wechselte Bundespräsident a.D. Joachim Gauck noch ein paar Worte mit den Schülern des AAG-Politikleistungskurses Foto: tw

CUXHAVEN tw ∙ Was als Lesung angekündigt wurde, entpuppte sich als ein Plädoyer für die Freiheit und den Einsatz für die Demokratie – mit Leidenschaft vorgetragen vom Bundespräsidenten a.D. Joachim Gauck. Am Freitag letzter Woche erlebte das Publikum im Stadttheater Cuxhaven einen Streiter für die Demokratie, der glasklar die Lage analysierte, mit Seitenhieben nicht sparte, und mit verständlichen Worten deutlich machte, was schiefgelaufen ist, aber auch Mut machte und aufzeigte, wie wir in Zukunft unsere liberale Demokratie verteidigen und leben können.

Auch die Schüler des Politikleistungskurses des Amandus-Abendroth­-Gymnasiums, die mit ihrem Lehrer Marten Grimke vor Ort waren, zeigten sich begeistert von der Rede Joachim Gaucks. „Das hat sich gelohnt“, sagte Jan. Er fand vor allem gut, dass Gauck nicht aus dem Buch gelesen, sondern einen freien Vortrag gehalten hat, „in dem er innen- und außenpolitisches angesprochen hat“. Mit Themen, die sie gerade auch in der Schule behandeln würden, so Johanna, die Gaucks Worte sehr spannend fand. „Und es war sehr angenehm, wie er gesprochen hat“, erzählte Vanessa begeistert. „Umgangssprachlich, aber auch Fachwörter integrierend. Und die Themen, die er angesprochen hat, interessieren mich“, sagte sie.
In seiner Rede wie auch in seinem Buch „Erschütterungen“, das er zusammen mit der Publizistin Helga Hirsch geschrieben hat, geht Gauck darauf ein, was unsere Demokratie von außen und innen bedroht.

Die äußere Bedrohung unserer liberalen Demokratie sieht er im russischen Präsidenten Wladimir Putin verortet, der im KGB sozialisiert worden sei. Dem von Lenin gegründeten sowjetischen Geheimdienst, der die Aufgabe hatte, die Macht zu schützen. Und diese Dienste seien in der Diktatur auch gleichzeitig Geheimpolizei, betonte Gauck. „Die Leute, die dort arbeiten geben ihr Gewissen ab und ersetzen es durch absolute Loyalität gegenüber der Macht. Das ist die Prägung, die Wladimir Putin erfahren hat.“ Und noch heute wende er die gleiche Herrschaftstechnik an, die dafür sorge, „dass die Macht der wenigen über die vielen erhalten bleibt“.

Zudem hänge Putin immer noch der Vorstellung eines russischen Imperiums nach. Als Putin gemerkte habe, dass die Sowjetunion zusammenbricht, habe dieser selber gesagt, dass das für ihn die schlimmste weltgeschichtliche Katastrophe des Jahrhunderts war. „Jetzt denkt er darüber nach, dass muss doch wieder zu ändern sein und verfällt in eine Art Größenwahn.“ Deshalb missachte er das Recht und setze die Herrschaftstechniken ein, die er in der Sowjetunion gelernt habe. Und Deutschland – zu lange geprägt durch die Ostpolitik der 1970er-Jahre – sei zu arglos gewesen, verharre im Motto „Wandel durch Handel“.

Was er überhaupt nicht nachvollziehen kann, „dass hochseriöse Menschen der Meinung sind, man müsse Putin doch verstehen, wegen der Nato. „Doch das ist reine Propaganda“, so Gauck, pflege Putin das Nato-Thema doch erst seit etwa 15 Jahren. Noch 2004, als die baltischen Staaten der Nato beitraten, habe Putin gesagt, „dass ist für Russland kein Problem“. Zum Problem sei es erst später geworden. Er habe das Feindbild gebraucht, als er als Kriegsbrandstifter in Erscheinung getreten sei und Menschen brauchte, die ihn verstehen, nach dem Motto, „er sei ja gar kein Angreifer, sondern eigentlich ein armer bedrohter Mensch, der in Sorge wegen der Nato sein müsse. Es ist wirklich peinlich, das zu hören und zu lesen und erschreckend, das deutsche Intellektuelle auf diesen Pfad gehen.“

Spätestens seit der Krim-Annexion hätte man in Deutschland aufwachen müssen. „Wenn es zu einem Krieg führt, dann ist das verbrecherisch und es gehört sich, einem Verbrecher seine Grenzen aufzuzeigen. Es gehört sich nicht, zu überlegen, wie man den Verbrecher beruhigen kann und seine Motive so zu deuten, dass es nicht so schlimm ist, dass er ein Verbrecher ist.“ Doch das sei gefährlich. „Wenn er nicht gestoppt wird, wird das seinen Appetit immer nur mehr anregen.“

Dem Blick auf die äußere Bedrohung der Demokratie, folgte der Blick auf die innere Bedrohung, verbunden mit der Mahnung „das unsere Demokratie und unsere Rechtsordnung nicht automatisch gesichert sind“.

Eine große Problemsituation sieht er in den massiven Veränderungen der heutigen Zeit, die Menschen überfordere. „Und wenn solche Krisensituationen die Angst von Menschen anfacht, und die Parteien der traditionellen Mitte auf diese Ängste nicht angemessen reagieren, dann stehen an den Rändern Leute, die sagen, habe ich doch gleich gesagt, alles Schrott was da gerade regiert. Und dann driftet ein Teil dieser Leute ab.“

Beim Thema Zuwanderung etwa seien nicht Angela Merkels Worte „wir schaffen das“, das Problem gewesen, sondern „das wir danach zu wenig darüber gesprochen haben, wie wir das schaffen“. Das gute anständige Deutschland wagte nicht Missstände mit der Zuwanderung zu benennen, „denn wir wollten ja nicht sprechen wie die Rechtsaußen-Leute“. Dabei sei es wichtig darüber zu sprechen „wo die Las­ten sind und wie wir die Lasten verteilen und ob wir die Lasten verringern können“. Denn sonst entstehe in einem Teil der Bevölkerung das Gefühl „das überwölbt uns“. Auch weil Rechtsnationale die Ängs­te anfachten. „Sie sagen Messerstecher, und vergessen dabei die Menschen, die Zugewandert sind und ohne die wir den Laden dicht machen können.“

Er machte aber auch deutlich, dass es immer möglich sei Leute wiederzugewinnen, aber dazu brauche auch die offene, liberale Gesellschaft erkennbare stringente Führung. „Wenn bestimmte Debatten nicht mehr gewagt werden, dann ist etwas nicht in Ordnung. Deshalb brauche wir eine lebendige Debattenkultur.“

Das heiße nicht, wie die Populisten den Brandbeschleuniger Ressentiment zu benutzen, um die Leute zu puschen und anzufeuern. „Das Überlassen wir den Rechtsextremisten von Rechtsaußen; übrigens, die Linksaußen können das genauso gut, die sind bloß im Moment nicht die große Gefahr für uns“, sagte er.

Und trotz der Gefahr, die er von Rechtsaußen sieht, hält er nichts von einem Verbot der AfD. „Denn was ist mit den Wählern, sollen wir die auch verbieten.“ Er halte aber viel davon, „dass wir sie stellen, dass wir sie fragen, was sind den deine Zukunftsvorstellungen, was willst du“.

Gleichzeitig hob er im Vergleich den Wert der Demokratie hoch. „Ich sehe kein interessanteres Gesellschaftsmodell als das unsere, das mehr Versprechen enthält, möglichst viele Menschen zu befriedigen; sie in die Rolle zu bringen, in der wir sein wollen als Bürgerinnen und Bürger, mit allen Rechten. Ich sehe dieses alternative Modell nicht, sondern nur solche in denen wir das Haupt beugen müssen, um hochzukommen. Und davon hatten wir genug in Deutschland.“

Ausführungen mit denen er das Publikum im Stadttheater auf seiner Seite hatte. Sie verabschiedeten ihn mit minutenlangen Standing-Ovations.