Bevor es in die Antarktis geht, muss Allgemeinchirurg Ingo Gerstmann auch ein Praktikum beim Zahnarzt machen. Meteorologin Gina Schulz (l.) nutzte die Gelebenheit beim Pressetermin einfach mal beim „Einsatz“ am leblosen Model dabei zu sein Foto: tw
OTTERNDORF/BREMERHAVEN tw ∙ Zwei Auslandssemester in Spitzbergen, den Master in Stockholm gemacht – Meteorologin Gina Schulz hat durchaus ein Faible für die kälteren Regionen. In dieser Zeit hat sich die 24-Jährige in die Arktis verliebt, und dachte sich, „warum soll das nicht auch in der Antarktis klappen“. Und so lässt sie sich auf ein Abenteuer ein, dass nicht alltäglich ist. Denn ihre erste Arbeitsstelle führt sie an einen Ort eisiger Kälte, relativer Einsamkeit und Phasen ohne Sonnenlicht – die Neumeyer-Station III. Als Mitglied des neuen Überwinterungsteams macht sie sich Mitte November auf den Weg in die Antarktis.
Um sich auf die dann folgenden 14 Monate vorzubereiten, ist sie seit dem 1. Juli in Bremerhaven. Neben fachspezifischem gehören auch viele Vorträge, Materialkunde, Teambildungsmaßnahmen, ein Bergkurs in Österreich und ein Brandschutzkurs in Neustadt zu den Vorbereitungsmaßnahmen, an denen alle neun Teilnehmer der Wintercrew teilnehmen.
Zum Team gehört auch Allgemeinchirurg Ingo Gerstmann. 2009 hat er das erste Mal von der Forschungsstation in der Antarktis gehört; hat interessiert verfolgt, wie sich das Ganze dort entwickelt und zuletzt auch überlegt, ob das nicht etwas für ihn wäre.
Auslösender Punkt war dann ein Weihnachtsgeschenk; das Buch „Polarschimmer“ von Aurelia Hölzer, die als Leiterin und Ärztin an der 42. Überwinterung auf der Neumeyer-Station III teilgenommen hat, und in ihrem Buch begeistert von dieser Zeit erzählt. „Und dann habe ich angefragt, zuerst zu Haus und dann beim Alfred-Wegener-Institut“, so der 48-Jährige schmunzelnd. Nachdem zuerst seine Familie das okay gab, folgte auch die Zusage des AWI.
Was ihn besonders freut, weil es nicht selbstverständlich sei, dass auch sein Arbeitgeber, das KRH-Klinikum Neustadt am Rübenberge, ihn bei dieser Entscheidung unterstützt, und er nach seiner Zeit in der Antarktis wieder an seine alte Stelle zurückkommen kann.
Der kommenden Zeit in der Antarktis sieht er einigermaßen entspannt entgegen. „Die Infrastruktur ist seit 46 Jahren erprobt“, sagte er. Und auch was sein Fachgebiet angeht, seien die Voraussetzungen gut. Natürlich müsse man auch auf der Neumeyer-Station auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, „aber die Teilnehmer sind junge gesunde Menschen, die vorher gut untersucht wurden“. Zudem sei alles vor Ort was man als Arzt brauche, wie etwa Ultraschall, EKG, Röntgengerät; auch ein OP-Saal ist vorhanden. Und natürlich alles für den Bereich Zahnmedizin.
Denn als alleiniger Arzt auf der Neumeyer-Station, muss er sich um alle Beschwerden kümmern. Deshalb standen für ihn neben mehreren Wochen am Klinikum Reinkenheide, in denen er unter anderem die Bereiche Anästhesie und Notfallversorgung vertieft, auch ein dreiwöchiges Praktikum in der Zahnarztpraxis von Zahnärztin Dr. Lisa Schiller und Oral-Chirurg Prof. Dr. Marcus Schiller in Otterndorf an, das vor zwei Wochen zu Ende ging.
Doch warum in Otterndorf? Durch berufliche Kontakte lernte Prof. Schiller Dr. Tim Heitland kennen, der am Alfred-Wegener-Institut (AWI) medizinischer Koordinator und unter anderem zuständig für die Überwinterung ist. Als dieser im letzten Jahr eine zahnärztliche Ausbildungspraxis für die Ärzte des Überwinterungsteams suchte, fragte er bei Marcus Schiller an, ob er sich vorstellen könne, diese Praxis für das AWI zu werden. „Klar kann ich“, sagte er.
Und nach Dr. Julia Gutting im letzten Jahr, stand ihm jetzt drei Wochen lang Ingo Gerstmann als Praktikant zur Seite. Hier lernte er unter anderem Zahnprobleme etwa bei akuten Schmerzen einzuordnen, Wurzelbehandlungen durchzuführen oder Zahnfüllungen zu machen. Und das Wichtigste, „der erste Schritt, die Betäubung, hat gleich gut geklappt“.
Jetzt geht der Start in einen außergewöhnlichen Lebensabschnitt weiter. „Ich lerne Sachen, die ich vorher nicht wusste“, so Gerstmann. Und das nicht nur im Bereich Zahnmedizin. Denn zu den ärztlichen Aufgaben gehört auch die Betreuung von medizinischen Studien, die sich zum großen Teil um Weltraummedizin drehen; aber auch Arbeiten des Bundesumweltamtes, und das im ganz praktischen Sinne. Denn für diese gilt es verlorene Pinguineier zu sammeln, um sie auf menschliche Rückstände zu untersuchen.
Auch das Arbeitsfeld von Meteorologin Gina Schulz ist mit Klimadaten sammeln, Wetterballons überprüfen, Messreihen weiterführen – um nur einen Teil zu nennen – vielfältig.
Die Hauptaufgabe des neunköpfigen Überwinterungsteams bestehe jedoch darin, den Routinebetrieb der Station im Winter aufrechtzuerhalten und Studien fortzuführen, so Gina Schulz. Und das Besondere: Alle Überwinterer unterstützen sich fachübergreifend gegenseitig.
Und das über einen langen Zeitraum. Deshalb wohnen die Teilnehmer seit Anfang Juli in Bremerhaven in einem Haus zusammen. „Und vom Moment des ersten Kennenlernens hat sich ein gutes Team geformt“, so Gerstmann.
„Mach das. Wenn etwas ist, kümmern wir uns.“
Wichtig ist beiden aber auch die Unterstützung von Familie und Freunden. „Denn wenn etwas zu Hause passiert, können wir nicht einfach zurückkommen“, so Schulz, die für ihre Entscheidung in die Antarktis zu gehen nicht nur Verständnis, sondern auch viel Unterstützung erfuhr. Gleiches kann auch Ingo Gerstmann berichten. „Mach das. Wenn etwas ist, kümmern wir uns“, kam der Zuspruch nicht nur von seiner Familie, sondern auch von Nachbarn und Kollegen. „Und es gibt ja noch das Internet, über das wir in Kontakt bleiben.“
Am 14. November startet das Überwinterungsteam Richtung Antarktis. Auf der Neumeyer-Station III treffen sie dann auch auf ihre Vorgänger. Zwei Monat sind diese noch mit von der Partie, um ihre Nachfolger einzuarbeiten.
Bis Mitte Januar 2027, also 14 Monate, sind sie in der Kälte zuhause. In den Sommermonaten zusammen mit rund 50 weiteren Wissenschaftlern und Technikern, von März bis Oktober als neunköpfigen Überwinterungsteams – dann nur noch über Funk mit der Außenwelt verbunden.