Geerntet wird die Pflanze mit einem langen Messer – Harry Vorthmann (v.) und Detlef Knust bei der Arbeit     Foto: jt

NORDLEDA jt ∙ „November nass, bringt jedem was“, lautet eine Bauerweisheit. Uns bringt er Grünkohl auf den Teller. Für Harry Vorthmann und seinen Angestellten Detlef Knust geht es heute raus aufs Feld zur Grünkohlernte. Selbst wenn es draußen nass, kalt und klamm ist. Und einem ein unangenehmer Wind um die Ohren pfeift. Der Elbe Weser Kurier durfte bei der Ernte dabei.

„Haben sie Gummistiefel mit?“ Klar, sie quietschen noch, so neu sind sie. Mithelfen will ich auch. „Nehmen Sie einfach die Schubkarre, die ist CO2-neutral (lacht) und dann rechts ab aufs Feld.“ Das liegt hinterm Haus und ist mindestens so groß wie ein halbes Fußballfeld. Der Sturm hatte tüchtig ins Gelände gehauen, viele der etwa 2000 Grünkohl-Palmen hat er platt auf den Boden gedrückt. Wenn sie Harry Vorthmann mit seiner Astschere abschneiden will, muss er sie erst mal ein Stück anheben. Dann die Nässe abschütteln, die Palmenstängel abschneiden und dann die Blätter abrupfen. Die Strunke werden untergepflügt; ein Teil davon ist für die Kaninchen. „Jetzt fängst du erst mal an, Büdel zu machen“, geht die Aufforderung an Harry Knust. „Wenn Schweinewetter ist, holen wir den Grünkohl zum Abstrippeln auch rein, machen den Bullerjan an und es gibt einen schönen Grog dabei“, lacht Harry Vorthmann.

Die beste Erntezeit ist von Ende Oktober bis Mitte Januar“, sagt der Landwirt. Danach könne es auch noch Grünkohl geben, aber mit abfallender Qualität. Letztendlich setze ihm die warme Witterung auch zu. Doch niemand müsse auf des norddeutschen liebsten Winterschmaus verzichten, Wer vorgesorgt hat und ihn die Truhe packt, könne ihn das ganze Jahr essen. Auf seinem Hof in Nordleda hat er neben anderen Feldfrüchten auch Grünkohl angepflanzt. „Die Grünkohlpflanzen, eine Miniaturausgabe der Palme, haben wir bereits Mitte bis Ende Juni gesetzt. Der Boden müsse dafür in einem richtig krümeligen Zustand sein, erklärt der Landwirt in dritter Generation. Das Pflänzchen werde so tief eingepflanzt, dass das Herzblatt herausguckt. Die Feuchtigkeit reicht aus, dass er gut heranwächst. In einer Zeitspanne von knapp fünf Monaten müsse er relativ viel an Masse zulegen.

„Händische Grünkohlernte ist eine ganz stille Arbeit, man hat keinen Krach um die Ohren. Von wegen. Die heiseren Schreie der Wildgänse und die schmetternden Trompetenrufe der Kraniche gellen über das Feld. „Das kann man auch allein machen. Heute ist Detlef Knust mit dabei. Bereits seit fünfeinhalb Jahren hilft der gebürtige Nordledaer mit auf dem Hof. „Schade, dass die beiden Störche nicht da sind. Vor 14 Tagen waren sie noch hier“, sagt er. Die Hauptwerkzeuge bei der Grünkohlernte sind die Hände und das Messer. „Ohne Messer kein Grünkohl Abschneiden“, sagt Harry Vorthmann und deutet auf eine Pflanze. „Das ist ein Doppelherzen-Grünkohl.“ Das sei eine Laune der Natur, die sich gedacht hat: Wir teilen uns hier mal im Strunk, lacht er. „Das Herz ist ja das Zarteste an dem Grünkohl. Früher war den Leuten wichtig, dass ein Herz mit im Beutel ist.“

Bevor der Buß- und Bettag abgeschafft wurde, war er der Tag, an dem zum ersten Mal Grünkohl auf den Tisch kam und die Grünkohlzeit begann“, erinnert sich Harry Vorthmann. Früher sei es um diese Zeit schon kälter gewesen und niedrige Außentemperaturen gehörten zum Grünkohlessen dazu. Aber braucht der grüne Kohl überhaupt Minusgrade, um richtig gut zu schmecken? Die Weisheit, dass sich die Stärke im Kohl nur bei Frost in Zucker umwandelt, stimmt nicht so ganz. In der Tat schmeckt der Grünkohl bei steigenden Zuckergehalten milder, süßer und weniger bitter. Für einen guten Geschmack reichen jedoch bereits niedrige Temperaturen über null Grad. Nur zu warm dürfe es nicht sein, das merke er am Verkauf: Den Menschen sei dann noch nicht danach. Bei Sonnenschein und 15 Grad will der Grünkohl noch nicht so recht schmecken. „Das Einzige, was ich zum Grünkohl brauch, ist eine schöne Kohlwurst und scharfer Senf. Ich bin ein Salzkartoffelfan.“

Zwei bis drei Palmen füllen einen Beutel

Ein Großteil der Leute möchten den Grünkohl schon küchenfertig abgerupft, nur Wenige verlangen nach der ganzen Palme.“ Viel Arbeit ist am frisch abgezupften Grünkohl nicht mehr dran. Nur noch ein bisschen waschen. „Für einen Kilobeutel brauchen wir mindestens zwei Palmen. Wenn wir in der Saison weiter fortgeschritten sind und der Abfallanteil höher werde, brauchen wir vier bis fünf Palmen. Es wird immer frisch nachgeerntet“, sagt Harry Vorthmann. „Letztlich aber bestimmen die Nachfrage und die Witterung das Ende der Grünkohlernte. Wir haben es auch schon gehabt, dass uns der Grünkohl verfroren ist.“ Gibt es Tiere, die den Grünkohl genauso gerne mögen wie wir? Wenn jetzt Schnee liegen würde und der Grünkohl rausguckt, würden ihn die Wildtiere nicht verschmähen. Sie fangen immer ganz zaghaft an einem Ende an, wo man sie nicht so sieht“, schmunzelt er. Der Grünkohl sei zu dieser Zeit schon recht viel karger als jetzt im November, wo die Ernte in vollem Gange ist.

„Die Grünkohlbeutel stellen wir auf dem Markt immer aufrecht hin und öffnen die Beutel ein bisschen, so dass die Kunden reingucken können. Frischer Grünkohl muss beim Verkauf raschelig sein und quietschen, denn schon nach zwei bis drei Tagen werden die Blätter welk und blass. Der Kohl sollte deshalb zügig verarbeitet werden. Vielleicht gehört diese Art von Grünkohlernte bald der Vergangenheit an“, sagt Harry Vorthmann etwas nachdenklich. Schade wär’s, denn frisch geerntet schmeckt er am besten. Und ist kein Vergleich zu Ware aus dem Supermarkt. Es quatscht und knatscht. Mit den neuen Gummistiefeln und einem Sack voll selbst geerntetem Grünkohl geht es vom nassen Feld – mit schönen Aussichten fürs neue Jahr. „Novemberwasser auf den Wiesen, dann wird das Gras im Lenze sprießen“, heißt es doch so sinnig.

Grünkohl „Nordleda“

Das Rezept kommt von Landwirtsgattin Beate Vorth­mann: „Meistens koche ich Grünkohl von drei Kilo. Dann reicht das für zehn Personen. Als allererstes muss der Grünkohl dreimal gewaschen werden. Wird dann in Salzwasser blanchiert, abgeseit, und dann lässt man ihn abkühlen. Dann wird er ausgedrückt und klein geschnitten. Das mache ich meistens schon den Abend vorher. Am nächsten Tag setze ich in einem 6-Liter Kochtopf ein Kilogramm Rinder-Suppenknochen und 300 Gramm geräucherten Bauchspeck mit circa 1,5 Liter Wasser auf. Ich weiß immer, wem das Rind mal gehört hat, wer es geschlachtet hat und wie lange es abgehangen ist“, sagt sie. „Je länger, desto zarter das Fleisch. Neun Tage dürfen es schon sein. Darin kommt der kleingeschnittene Grünkohl. Nach 30 Minuten Kochzeit füge ich etwa 120 Gramm Gerstengrütze hinzu und lasse das zwanzig Minuten weiterkochen. Dann lege ich zehn Stück Pinkel obendrauf und lasse sie dort zehn Minuten garziehen. Jetzt wird mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt. In einem zweiten Kochtopf koche ich zehn Kohlwürste. Dazu gibt’s Salzkartoffeln und natürlich darf scharfer Senf nicht fehlen.“